Um das Jahr 1415 wurde in einem Pariser Kloster eine französischsprachige Handschrift des Kirchenlehrers und Bischofs Aurelius Augustinus hergestellt, die dem französischen König Charles V. gewidmet wurde. Damit sollte der König erinnert werden, dass er seine Herrschaft möglichst gerecht nach den Grundsätzen von „De Civitate Dei“ ausrichten sollte. Sie ist heute Teil der Beinecke Rare Book and Manuscript Library, Yale University in New Haven (Connecticut), dort unter der Signatur MS 215, Bk.1. Sie gehörte wahrscheinlich einst Jean II. de Montagu (gest. 1409), dem Grand Maitre d’Hotel von Charles VI. Die Illustration auf der Eröffnungsseite von fol. 5r wurde von einem Schüler des Meisters Boethius (aktiv nachgewiesen von 1414-1420) angefertigt. Die Miniatur präsentiert Jerusalem links und Babel rechts als gegenüberliegende Städte der Gerechtigkeit und der Ungerechtigkeit. Anhand der Architektur sind sich beide Städte überraschend ähnlich, solche Bauten findet man auch in MS Royal 15 D III (1400-1425), MS Français 23 (um 1405), in der Historienbibel Royal 19 D III (1411) oder in MS Français 21 (1414).
Zu Jerusalem oder zu Babel werden sie erst durch die Handlungen, die in oder vor ihnen statt finden. Links präsentiert ein Mönch einem Wesen umgeben von roten züngelnden Flammen ein Buch. Es ist Augustinus, der hier Gott persönlich sein Werk überreicht, oder dessen Werk von Gott autorisiert bzw. inspiriert wird. Als heiligen Ort markiert Jerusalem eine vierschiffige gotische Kirche. Rechts geht es übel zu: Zwei Ritter überfallen wehrlose Menschen, von denen einer über die Stadtmauer geworfen wird. Weitere Bewaffnete drängen von unten nach.
Diese Miniatur oder eine weitere, nicht bekannte Fassung muss in 15. Jahrhundert bekannt geworden sein. Sie wurde zum Vorbild einiger einfacher Holzstiche aus der Zeit von 1489/90.
Christa Sammons (Bearb.): The power of pictures. Images from the collections of the Beinecke Rare Book & Manuscript Library. A collaborative project of the Beinecke Library curatorial staff, New Haven 2013.
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