Russische Apokalypse (19. Jh.)

Vor uns liegt eine Apokalypsenübersetzung, ergänzt um verschiedene weitere religiöse Geschichten. Sie entstand im 19. Jahrhundert. Unter den 78 Miniaturen lassen sich einige der schönsten Darstellungen des Himmlischen Jerusalems dieser Zeit finden. Das Manuskript ist heute Teil der Russischen Nationalbibliothek in Moskau, dort Signatur F.98 Nr. 371 und Teil der Sammlung E. E. Egorova. Leider gibt es zu der Herkunft und zu den beteiligten Künstlern noch keine Erkenntnisse, die Erforschung dieses Bandes ist noch eine Aufgabe für die Zukunft.

Fol. 20v zeigt erstmals das Himmlische Jerusalem in Form und Gestalt, wie man es in diesem Band noch öfters finden wird. Der Bau erscheint auf der rechten Seite, hat eine klar gegliederte Fassade und steht oben offen. Es sieht so aus, als würde die Stadt aus vor- und zurückspringenden Paneelen bestehen, die unten ein Tor besitzen, darüber einen Edelstein. Die Zone dazwischen verbindet ein gelbes Band, das auch den Bau nach oben abgrenzt. Dort steht auf dem Dach links Maria und rechts ein Engel, die beide zu Christus hin ausgerichtet sind, der über der Stadt als Richter erscheint.

Des Weiteren bringt fol. 35v eine Himmelspforte: Christus erscheint in der Türlaibung zum Gericht und sprengt die beiden Türflügel förmlich weg zur linken und zur rechten Seite. In seiner rechten Hand hält er den Himmelsschlüssel, in der linken ein aufgeschlagenes Buch, das Buch des Lebens. Im Gegensatz zu vielen anderen dieser Tüflügel hat man auf eine Ornamentierung verzichtet, lediglich die Kassetten der Tür lassen sich unterscheiden. 


Von ausgewogener Schönheit ist die Miniatur auf fol. 43v. Sie zeigt links Johannes und einen Engel, der auf die Stadt rechts hinweist. Diese ist sogar etwas größer als der Felsen auf der gegenüberliegenden Seite. Wie auf fol. 20v sind wieder sechs Tore übereinander gesetzt, differenziert in einem mintfarbenem Rot, Blau und Grün. Eine rote Dachzone lässt erkennen, dass wir es mit einem plastischen Körper zu tun haben, einer Tonne ähnlich. Bekrönt wird die Stadt von einem Lamm mit Hörnern (vgl. das Apokalypsemanuskript der Altgläubigen aus Russland fo. 206v), welches hier von einem blauen Stern (etwas missraten) im runden Tondo umschlossen ist.

Die nächste Illustration zum Thema kommt erst nach knapp fünfzig Seiten auf fol. 132v. Sie zeigt das Neue Jerusalem in einer typischen Form, wie man es eigentlich nur in der Ostkirche findet: Es handelt sich um ein gleichseitiges Kreuz in grüner Farbe (vgl. die Weltgerichtsikone aus der Tretjakow-Galerie, um 1450). Von oben kann man hier in die Stadt einsehen, in der zahlreiche Heilige eng aneinander stehen.


Fol. 186v bringt bereits wieder ein Himmlisches Jerusalem, ähnlich präsentiert wie auf fol. 20v und fol. 43v; Es dürfte sich um den gleichen Künstler handeln. Auch hier kann man von oben in die Stadt sehen und erkennt einige der Tore von der Innenseite. Von außen sieht man sechs Tore mit Dreiecksgiebel. Drei von ihnen wurden mit einer Figur besetzt, im vierten Tor wurde die Figur wieder weggewischt. Über der Stadt findet man auch hier Christus, in menschlicher Gestalt, in einem Tondo etwas nach links abgesetzt.


Fol. 200v bringt ein noch eindrucksvolleres Jerusalem: Die Stadt besteht aus drei Stockwerken, auf deren Oberfläche sich grüne, gelbe und blaue Felder abwechseln. Jedes der Felder hat ein Tor oder ein Fenster, insgesamt werden fünfzehn solche Felder gezeigt. Auch hier ist Christus über der Stadt, jetzt in einer mittelalterlichen Mandorla. Er ist umgeben von Heiligen zu seinen Seiten. Die Stadt füllt fast das gesamte Blatt aus, allein unten links weicht die Architektur etwas zurück, um einer Figur, dem Seher Johannes, Platz zu machen. Über der Stadt ist ein roter Streifen belassen, in dem ein Engel mit einer Posaune zum Jüngsten Gericht ruft. 

Fyodor Buslaev: Russkij licevoj Apokalipsis. Svod izobraženij iz licevych apokalipsisov po russkim rukopisjam s 16-go věka po 19-j, St. Petersburg 1884.

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