Poitiers ist die Hauptstadt des Départements Vienne in der Region Nouvelle-Aquitaine im Westen Frankreichs. Die dortige Kirche Notre-Dame la Grande ist ein Kleinod der französischen Romanik und wird deswegen von Kunstfreunden aus aller Welt aufgesucht. In der Mitte des Chors befindet sich eine Marienstatue zum Schlüsselwunder. Dabei handelt es sich um folgende Legende: Im Jahr 1202 belagerten die Engländer auch die Stadt Poitiers. Ein Angestellter des Bürgermeisters verspricht den Feinden, ihnen die Stadt zu übergeben, indem er ihnen am Ostertag die Schlüssel der Stadt gegen eine Geldsumme übergibt. In der Nacht betritt der Angestellte das Zimmer des Bürgermeisters, um die Schlüssel zu stehlen. In dem Moment, als er sie ergreifen will, sind sie verschwunden. Als der Bürgermeister aufwacht, bemerkt auch er das Verschwinden und weiß sogleich, dass es einen Verrat gegeben hat. Deshalb warnt er seine Armee und geht nach Notre-Dame-la-Grande, um dort zu beten. Dort entdeckt er die Statue der Jungfrau Maria, die die Schlüssel in der Hand hält.
Um die Mitte des 17. Jahrhunderts wurde von unbekannter Hand eine hölzerne Marienstatue samt einem steinernen Sockel geschaffen. Die Statue wurde bis 1887 bei Prozessionen durch die Stadt Poitiers getragen, seitdem befindet sie sich kontinuierlich auf dem Sockel. Dieser Sockel zeigt an vier Seiten in Form eines Kubus‘ Bauten des Himmlischen Jerusalem in einer neoromanischen Darstellungsweise, wie man es aus Moissac und Issoire kennt. Im unteren Bereich umgürtet den Sockel eine Stadtmauer mit drei Toren an jeder der vier Seiten, auch diese Darstellung erinnert an mittelalterliche Vorbilder in MS Latin 8846. Dazwischen sind Türme gesetzt, die an den Ecken etwas höher sind und ein kleines Dach haben. Obwohl diese Türme fast bis an die Oberkante der Trägerplatte stoßen, ist noch etwas Raum gelassen für einige Wohnbauten, die den Eindruck erwecken, als würden sie frei im Raum schweben. Die kräftige Farbgebung entspricht nicht dem Original, sondern sie geht zurück auf das Jahr 1851. Damals ließ der Architekt Charles Joly-Leterme auf Wunsch der Geistlichkeit die Innendekoration in einem pseudoromanesken Stil ausmalen.
Ingeborg Tetzlaff: Romanische Kapitelle in Frankreich, Köln 1979 (3).
Robert Favreau, Marie-Thérèse Camus, François Jeanneau: Notre-Dame-la-Grande, Poitiers 1995.
Claude Andrault-Schmitt, Marie-Thérèse Camus: Notre-Dame-la-Grande, l’œuvre Romane, Paris 2002.
Beitragsbild: A. Foucaut