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Kapitelle von Moissac (um 1090)

Kapitelle dienten mitunter auch dazu, das Himmlische Jerusalem darzustellen. In ihrer Vierseitigkeit und wegen ihrer hochgelegenen Position waren sie durchaus geeignet, dieses Jerusalem adäquat zu repräsentieren. Dennoch ist es im konkreten Fall schwer zu entscheiden, ob es sich wirklich um ein Himmlisches Jerusalem handelt, aus folgenden Gründen:
-meist fehlen Elemente wie Perlen und Edelsteine, was nur schwer in Stein darstellbar ist. Von daher ist man nie wirklich sicher, ob es sich nicht genauso gut um eine Darstellung des historischen Jerusalem handeln könnte;
-anders als bei Miniaturen oder Wandmalereien kenne ich kein Kapitell, bei dem einmal in Latein der Titel des Dargestellten geklärt wäre. Ohne diese hilfreichen Beschriftungen ist eine Identifikation erschwert;
-viele der Steine sind beschädigt, zudem haben sie im Laufe der Jahrhunderte ihre Bemalung verloren, was eine Zuordnung zusätzlich erschwert;
-und letztlich: Anders als in den späteren Jahrhunderten haben wir so gut wie keine schriftlichen Quellen zu den Werken, auch die ausführenden Künstler wie der Entstehungshintergrund bleiben unbekannt.
Bekannt, vielleicht sogar berühmt, sind vor allem die Kapitelle der Benediktinerabtei von Moissac (Okzitanien) im dortigen Kreuzgang. Sie wurden kurz vor 1100 fertig gestellt. Möglicherweise sind weitere Kapitelle, die zu einem didaktischen Programm gehörten, über die Jahrhunderte, vor allem durch die Zerstörungen in den Revolutionsjahren, verloren gegangen. Sie waren Teil der Bautätigkeit des Normannenabts Anquetil (1085-1115), der die Abtei im Sinne der Cluniazensischen Reform führte.
Im Südflügel befindet sich ein Stein, der an seinen vier Seiten vermutlich das Himmlische Jerusalem zeigt. Diese vier Seiten sind schematisch aufgebaut: Unten sieht man stets Mauerwerk, oben über den Zinnen stets ein oder zwei Figuren. Leider sind gerade diese Figuren, vor allem die Köpfe, absichtlich unkenntlich gemacht worden. Vermutlich handelte es sich um Heilige, Gerettete und in einem Fall um Christus. An den Seiten ragen jeweils Türme hervor und rahmen das Kapitell symmetrisch ein. An zwei Seiten ist in die Stadtmauer ein Tor eingefügt. Deutlich kann man zwei Flügel unterscheiden, es ist also (noch) geschlossen.

 

An dem Nordflügel gibt es eine weitere Darstellung mit dem Himmlischen Jerusalem, die weniger bekannt ist und in der Literatur zu Moissac meist fehlt. Es handelt sich um ein Kapitell mit zwei Rundtoren, die von Engeln und Heiligen (Aposteln) an den Ecken zu den angrenzenden Schauseiten flankiert sind. Thema ist hier die Civitas Dei, also die Stadt Gottes, die sich über den Toren mit Dachzonen und Kuppeln noch weiter ausbreitet. Üblicherweise ist bei solchen Darstellungen ein Tor geöffnet und ein Tor geschlossen, im Falle von Moissac sind beide Tore geschlossen. Vor allem das rechte Tor zeigt leichte Beschädigungen, ansonsten ist die kunstvolle Skulptur, bei der man jede einzelne Dachschindel erkennen kann, glücklicherweise gut erhalten.

Eva Licht: Ottonische und frühromanische Kapitelle in Deutschland, Stuttgart 1935.
Marcel Durliat: L’Eglise abbatiale de Moissac des origines à la fin du XIe siècle, in: Cahiers Archéologiques, 15, 1965, S. 157-177.
Ingeborg Tetzlaff: Romanische Kapitelle in Frankreich, Köln 1986.
Thorsten Droste: Die Skulpturen von Moissac, München 1996.
Kurd Fleige: Romanische Kapitellskulpturen als Kosmossymbole, in: Hildesheimer Jahrbuch, 74, 2002, S. 239-248.

 

tags: Kreuzgang, Frankreich, Kloster, Benediktiner, Okzitanien, Civitas Dei, Schaden, geschlossene Pforte, Gotik, Mittelalter
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