Bei dem Werk handelt es sich um eine lateinischsprachige Biblia Pauperum (Armenbibel). Der Begriff ist ein typischer Euphemismus: kein Mensch, der im Mittelalter arm war, konnte sich eine solche Bibel leisten, er konnte sich vielmehr überhaupt keine Bibel leisten. Das Werk ist um 1405 in den Niederlanden, möglicherweise in Den Haag, entstanden. Wir wissen heute, dass bei der Anfertigung der 93 Illustrationen auch der Meister des Stundenbuchs der Margaretha von Cleves beteiligt war (heute Lissabon, Museum Calouste Gulbenkian, MS LA 148). 1823 kam die „Armenbibel“ als Geschenk von König George IV. in die Londoner British Library. Dort steht sie unter der Signatur King’s 5 seitdem der Öffentlichkeit zur Verfügung.
Fol. 30 zeigt in drei Miniaturen verschiedene Formen der Freude, ein im Mittelalter seltenes Thema, vergleicht man es mit der Häufigkeit der Darstellung von Höllenqualen oder Folterungen von Heiligen, die damals vielleicht schaurige Freude verursachten. In dem mittigen Bild wird die Freude dargestellt, die die Geretteten im Himmlischen Jerusalem empfinden. Vor die eigentliche Binnenrahmung sind in die Ecken vier alttestamentliche Heilige gesetzt, samt Schriftbändern, die dem Thema Freude Ausdruck verleihen. Innerhalb der Binnenrahmung werden zwei Seiten eines blockartigen Baus gezeigt (in der Perspektive ähnlich wie später in Saint-Pierre-ès-Liens in Martignac). An beiden Seiten finden sich Fensteröffnungen, vorne vier, an der linken Seite sechs. Aus den Fenstern schauen weitere Heilige, die alle eine Krone tragen. Es handelt sich um Märtyrerinnen, die für ihren Glauben gestorben sind und nun mit der Aufnahme in das Himmlische Jerusalem belohnt wurden. An der Frontseite konnten nur vier Heilige gezeigt werden, da die untere Hälfte einem goldenen Tor vorbehalten ist, welches fest verriegelt ist.
Edward Maunde Thompson: On a manuscript of the Biblia Pauperum, in: Bibliographica, 3, 1897, S. 385-406.
John Henrik Cornell: Biblia Pauperum. A description and discussion of the various MSS. with facsimiles, Stockholm 1925.
Janet Backhouse, James H. Marrow, Gerhard Schmidt: Biblia Pauperum. King’s MS 5, British Library, London, Luzern 1994.