Jacquemart Pilavaine: „De Civitate Dei“ (1462)

Um die Mitte des 15. Jahrhunderts war die Civitas Dei nach der Beschreibung in „De Civitate Dei“ von Augustinus in folgender Form ein beliebtes Sujet: Die himmlische und die irdische Stadt stehen sich gegenüber, bzw. schwebt die himmlische über der irdischen Stadt. Beide Bereiche sind durch eine Mauer getrennt. Der untere irdische Bereich ist dann vom Betrachter nochmals durch eine zweite Mauer getrennt. Bekannt sind vor allem die Fassungen des Maitre François, doch der hat das Bildmotiv gar nicht erfunden.

Im vorliegenden Fall befindet sich im Zentrum des Himmlischen Jerusalem eine Darstellung der Trinität. Von dort gehen konzentrische Kreise aus, die verschiedene Farben haben und mit Engelsfiguren gefüllt sind. Etwas menschlicher geht es darunter zu. Hier sind in kleinen Szenen Laster gezeichnet, die sich einfach nicht ausrotten lassen: Geiz, Völlerei, Lüsternheit, u.a. Einzigartig ist, dass hier die Stadtmauern an zwei Stellen aufgebrochen sind, um einen Blick in die Innenräume werfen zu können. Die vier Türme an den Seiten weisen dagegen keine Spuren einer Beschädigung auf. Vor Dürer ist es eine der ganz wenigen Repräsentationen Jerusalems mit einer bewussten Beschädigung.
Die Miniatur findet sich auf fol. 2 der Handschrift MS 9014 aus der Königlichen Bibliothek in Brüssel. Von dieser wissen wir, dass sie am 24. Januar 1462 vollendet wurde. Verantwortlich für die Miniaturen war das Atelier von Jacquemart Pilavaine. Meister Jacquemart Pilavaine aus Vermandois war im 15. Jahrhundert ein erfolgreicher Kopist und Buchmaler mit einem eigenen Atelier in Mons in der Grafschaft Hennegau. Dort arbeitete er zeitweise auch im Atelier von Jean Wauquelin. Für ihn kopierte er unter anderem das Manuskript „Gilles de Rome“, das ebenfalls in der Königlichen Bibliothek in Brüssel aufbewahrt wird, unter MS 9043.

Joseph van den Gheyn: Catalogue des manuscrits de la Bibliothèque Royale de Belgique, 12, Bruxelles 1902.
Marguerite Debae: La Bibliothèque de Marguerite d’Autriche. Essai de reconstitution d’après l’inventaire de 1523-1524, Louvain 1995.
Élodie Lecuppre-Desjardin: Une réalité urbaine sublimée. La ville du prince dans le frontispice des chroniques et conquêtes de Charlemagne de David Aubert (vers 1460), in: Patrick Boucheron, Jean-Philippe Genet (Hrsg.): Marquer la ville. Signes, traces, empreintes du pouvoir (xiiie-xvie siècle), Paris 2013, S. 441-461.

 

tags: Civitas Dei, Ruine, Mauer, Trinität, Laster, Geiz, Völlerei, Lüsternheit, Königlichen Bibliothek Brüssel, Belgien
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