Hieronymus Wierix (1553-1619): Flugblatt (um 1610) und Kopie in Andahuaylillas (1626)

Hieronymus Wierix (1553-1619) war um 1610 einer der innovativsten Kupferstecher seiner Zeit. Vor allem schaffte er es, altbekannte Themen in neuen Sichtweisen darzustellen. So auch beim Himmlischen Jerusalem, welches hier als Adelspalast präsentiert wird. Dieser Palast, wahrscheinlich ein Wasserschloss, wird in den Niederlanden oder in Nordfrankreich zu suchen sein. Er findet sich auf einem Flugblatt (37 x 27 Zentimeter groß), welches mit lateinischen Erklärungen versehen wurde. Auf diese Erklärungen beziehen sich die Buchstaben, die man hier im Bild vorfindet. Der filigrane Kupferstich muss in einer hohen Auflage gedruckt worden sein, Kopien findet man noch heute in den Bibliotheken zu Wolfenbüttel, Brüssel, Coburg, New York, Paris und Wien. Die Zeichnung thematisiert den Lebensweg: Auf einer Brücke müssen die Menschen, wenn sie das Schloss überhaupt erreichen wollen, durch eine Pforte (F) gelangen. Doch damit ist man, im Gegenteil zu vielen anderen Bildern, hier noch nicht gerettet. Man muss auf der Brücke weiterlaufen, wo überall Gefahren lauern. Vom Schloss aus schauen diejenigen, die den Weg bereits hinter sich haben, neugierig aus den Fenstern (D). Auf einer darüber liegenden Balustrade ziehen drei Figuren eine andere Person mit Seilen zu sich, um deren Seele zu retten (C), was wenige Jahre später von Boëtius à Bolswert weitergeführt wird. Am Haupttor unten geleitet ein Engel die Ankommenden ins Innere (G). Auch in dem Palast scheint die Reise nicht zu Ende zu sein: Über dem Dach links fliegen Menschen weiter nach oben und verschwinden in den Wolken.
Durch diesen weit verbreiteten Stich scheint die Idee, dass die Reise mit Betreten des Torbaus noch nicht zu Ende ist, sich vor allem in Neuspanien verbreitet zu haben. Bei vielen Rundtortürmen wird dies übernommen. Man fragt sich allerdings, was der Sinn dieser Vorbauten ist: die erste Pforte führt nicht zum Ziel, der gesamte Bau ist noch nicht das Ziel, was erwartet die Seelen hinter den Wolken?

Leo van Puyvelde: Bernardo Passeri, Marten de Vos and Hieronymus Wierix, Roma 1956.
Jan de Jong (Bearb.): Prentwerk, 1500-1700, Zwolle 2002.
Jan van der Stock, Marjolein Leesberg (Hrsg.): The Wierix family, 8, Rotterdam 2004 (Hollstein’s Dutch and Flemish etchings, engravings and woodcuts 1450-1700, 66).

 

Eine Kopie des Kupferstichs findet man in der römisch-katholischen Jesuitenkirche Andahuaylillas bei Quispicanchi im heutigen Peru. Das Werk, zugeschrieben einem Luis de Riano (geb. 1596), ist ein farbiges Wandgemälde, entstanden zwischen 1610 und 1633, nach neuerer Forschung exakt 1626 aufgemalt. Es zieht sich derart über eine Wand mit einem mittigen Tor, dass dort zwei Wandseiten entstehen. Auf der linken Seite ist die Hölle dargestellt, auf der rechten (hier zu sehen) die Erlösung. Die beigefügten Buchstaben samt Erklärungen stimmen übrigens mit der Wierix-Fassung überein. Die Einzelheiten sind aber detail- und farbenfreudiger, was man links an der mehrstufigen barocken Pforte „F“ bereits gut sehen kann, die im Original lediglich ein Rundbogen ist. Auf der Tafel mit dem Abendmahl ist es Wissenschaftlern sogar gelungen, die Früchte und Gemüsesorten exakt zu bestimmen, wie eine Zwiebel, ein Früchtebrot und einen damals beliebten Hartkäse.

Suzanne L. Stratton u.a.: The virgin, saints, and angels, Stanford 2006.

 

tags: Wandmalerei, Peru, Kupferstich, Schloss, Emblem, Emblemata, Renaissance, Neuspanien
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