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MS 75 (um 1230) und MS Français 9574: Apokalypsehandschrift mit Kommentar des Berengaudus (1266-1300)

MS 75 ist eine mit 66 Miniaturen illuminierte mittelalterliche Handschrift aus der Londoner Lambeth Palace Library, die einen französischen Apokalypsetext mit einem Kommentar des Berengaudus beinhaltet. Auffällig sind ihre weich gezeichneten Miniaturen in Pastelltönen. Sie wird auf die späte erste Hälfte des 13. Jahrhunderts datiert. Auf fol. 24r stehen zwei Personen und ein Engel im Torrahmen des Neuen Jerusalem und blicken auf eine Marienerscheinung vor der Stadt (Maria als Himmelskönigin: Frau mit Sonnenrad, die auf einer Mondsichel steht und mit einer Krone ausgezeichnet ist).

Fol. 48r zeigt die auferstandenen Toten vor dem Thron Gottes, den sie anbeten. Jeweils drei Auferstandene reihen sich an einer Seite aneinander. Darunter haben sich die Gräber zu Mauern der Stadt Jerusalem verwandet; die grüne Farbe und die rechteckigen Felder imitieren die Edelsteine des Fundaments.

Die zwei Abbildungen auf fol. 48v sollten noch mehrfach kopiert werden und bilden eine erzählende Einheit: Zunächst zeigt die obere Miniatur von fol. 48v Johannes vor einer offenen Flügeltür der Gottesstadt. Die beiden Flügel stehen offen und bilden mit dem gebogenen Tor eine Einheit, die in den drei Kegeldächern darüber wiederholt wird. Dieser Bereich hat einen goldenen Hintergrund, während Johannes, der sich noch im irdischen Bereich befindet, mit einem blauen Hintergrund ausgestattet wurde, der das Firmament andeutet.

Die untere Miniatur von fol. 48v zeigt Johannes zusammen mit einem Engel, erneut gegenüber der Stadt, die nun größer und detaillierter dargestellt ist. Allerdings hat sich die Zugangspforte unten nun wieder geschlossen. Darüber findet man auf einer Mauer, bei der jeder Stein einzeln eingezeichnet wurde, mehrere Fenster, darüber eine heterogene Dachlandschaft, die das Können des Miniaturisten bis an seine Grenze strapaziert hat.

 

Eine Kopie von MS 75 befindet sich in der Französischen Nationalbibliothek in Paris, unter der Signatur MS Français 9574. Es handelt sich um ein Neues Testament, das im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts im englischen York entstanden ist. Die entsprechenden Abbildungen befinden sich auf fol. 57v bzw. fol. 58. Die Komposition ist bis in viele Einzelheiten gleich, wie die Beschläge der Türflügel oder die Falten der Gewänder. Die Konturen sind aber bei MS Français 9574 wesentlich schärfer, die Farben kräftiger. Auch findet sich eine Tendenz zur Vereinfachung. So etwa wurden bei der ersten Miniatur die Trennung in zwei Hintergrundzonen aufgehoben, bei der zweiten Miniatur die drei Fenster weggelassen.

Claus Bernet: Vorromanik, Ottonik, Romanik, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 29).

 

tags: Lambeth Palace Library London, Pastell, Sonnenrad, Pforte, Kopie, Französische Nationalbibliothek Paris, Romanik, Mittelalter
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