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Zweiwegebild-Illustrationen aus dem deutschen Sprachraum (19. Jh.)

Wirklich populär wurden diese Zweiwegebilder im 19. Jahrhundert, als kolorierte Lithographien die Kirchräume und Wohnstuben schmückten. Am Anfang einer ganzen Reihe von Zweiwegebildern aus der Schweiz steht diese kolorierte Handzeichnung aus Eriswil bei Bern (Museum der Kulturen Basel, Inv.-Nr. VI 61756). Sie entstand um 1800 und ist insgesamt lediglich 36 x 35 cm groß. Bei ihr ist das Himmlische Jerusalem noch nicht über den ganzen oberen Bildrand gezogen, sondern es findet sich nur auf einer Seite. Christus steht bereits in der Himmelspforte, die aber noch nicht Teil der Stadtmauer ist, sondern relativ eigenständig neben der eigentlichen Miniaturstadt steht. Auffällig ist die fröhliche Farbigkeit, wo auch vor blauen Dächern nicht zurückgeschreckt wird.

 

Eine ebenfalls frühe Fassung des Motivs „Zweiwegebild“ konnte anhand graphologischer Begutachtung auf die Zeit um 1800 datiert werden. Auch diese Fassung stammt aus der Schweiz, nämlich aus Bern. Insgesamt ist es 53 x 41 cm groß und man findet es heute im Museum der Kulturen Basel, Inv.-Nr. VI 6691. Es ist die früheste Fassung, bei der nun die Stadt sich zu beiden Seiten der Pforte entlangzieht. Auch andere typische Merkmale kennzeichnen diese innovative Arbeit, für die Christian Krähenbühl in Länzlingen, einer Kirchengemeinde des Kantons St. Gallen, Verantwortung getragen. Er hat sie mit Sicherheit vertrieben und möglicherweise auch angefertigt. Hier findet man links die Sonne, rechts den Mond, links neben der Pforte einen Baum und über den Dächern Engel, die mit Posaunen das Jüngste Gericht einläuten. Das gestalterische Potential und künstlerische Können von Krähenbühl waren allerdings recht begrenzt, seine Figuren und Architekturen kommen über das Naive und Kitschige nicht hinaus.

 

Als dritter Urtyp muss dieser Holzschnitt aus Zäziwil bei Basel gelten. Er stammt aus dem Jahr 1811 und ist insgesamt 41 x 33 cm groß. Auch er befindet sich heute im Museum der Kulturen Basel, Inv.-Nr. VI 6690. Eine gleiche Version stammt von Johannes Haas aus dem schweizerischen Ort Zug. Hier findet sich auf einmal eine stärkere Betonung der Stadtmauer, sogar einzelne Steine können erkannt werden. Auch findet man erstmals die Aufschrift zu der Stadt, hier in deutscher Sprache. Während die Masse auf der breiten Straße geradewegs in die Hölle wandert, schaffen den Weg nach oben nur Wenige. Sie alle tragen brennende Lampen und bewegen sich auf einem Dornenpfad vorwärts, zur Erklärung steht geschrieben: „Zions Strasse wird verlassen, weil sie ist mit Dornen bewachsen“. Die Ankommenden werden von einer etwas eigenartigen Wächterfigur empfangen, eine halbnackte Dame, die eine Krone trägt und weitere Kronen verteilt. Der ganze obige Bildteil ist durch eine Mauer getrennt, auf der das Schild „Das neue Jerusalem“ angebracht ist. Dahinter erhebt sich eine Miniaturstadt mit Wohnbauten und Kirchtürmen. Tag und Nacht sind hier gleich, deshalb erscheinen links die Sonne und rechts der Mond, dazwischen fliegen immer wieder kleine Engel.

 

Etwas jünger ist diese unkolorierte Fassung, die auf um 1830 datiert wird (Museum Europäischer Kulturen, ebenso Staatliche Museen zu Berlin). Die Häuser sind hier mit vielen Architekturdetails liebevoll ausgestaltet, was anzeigt, dass auch diese Arbeit in Süddeutschland oder der Schweiz entstanden sein könnte. Hier steht nicht Christus in der Pforte, worauf nicht allein der Schlüssel deutet, sondern auch der kleine Hahn an der Türschwelle.

 

Ebenfalls spätestens um 1830 war das Zweiwegemotiv auch in Frankreich bekannt. Dieser Holzschnitt der Größe 42 x 32 cm ist der Beleg dafür. Er wurde von den Gebrüdern Deckherr in Mömpelgard (Montbéliard) für den deutschen Sprachraum angefertigt und von dort aus in die Schweiz und die USA importiert (hier Privatsammlung, ebenso Museum der Kulturen Basel, Inv.-Nr. VI 28520, eine vereinfachte Variante besitzt auch die Princeton University, Firestone Library).

 

Eine ähnliche Fassung wie der Holzschnitt aus Frankreich von ca. 1830 (siehe dort) entstand 1837 durch G. N. Renner aus Nürnberg mit der Gesamtgröße 40 x 30 cm (Museum Neuruppin, Inv.-Nr. 03498). Die gesamte Architektur wurde einer Überarbeitung und Modernisierung unterzogen. Auffällig sind die grellen Farben wie das Türkis oder Violett.

 

Nach etwa zehn Jahren, um 1840, brachte die Firma Oehmigke & Riemschneider ein eigenes Zweiwegebild auf den Markt (Museum Neuruppin, 00019). Die Firma war von dem Buchhändler Philipp Johann Oehmigke (1807-1858) und Arnold Hermann Riemschneider (1806-1856) 1831 gegründet worden und hielt bald im ganzen Deutschen Reich als Bildproduzent eine führende Position inne. Soweit bekannt, ist es das erste Mal, dass in Neuruppin ein eigenständiger Jerusalems-Druck auf den Markt gebracht wurde. Vermutlich war es kein Misserfolg, bald sollten weitere Bögen auf den Markt kommen. Auf dem Druck der Größe 42 x 34 cm macht die Darstellung des Neuen Jerusalem etwa das obere Drittel aus. Innovativ ist die neogotische Pforte im Stile Schinkels, dann sicher auch der ebenfalls neogotische Bau rechts mit der blauen Zwiebelkuppel. Überhaupt sind alle Bauten mit höchster Präzision von Grafikern gearbeitet, die Meister ihres Faches waren und den Ruhm und Erfolg dieser Brandenburger Firma begründeten.

 


Bereits 1844 brachte Oehmigke & Riemschneider eine leicht veränderte Fassung heraus (Museum Neuruppin, B-1708-OR). An dem 41 x 33 großen Druck wurden vor allem die Stadtbauten völlig neu gesetzt, wobei man sich farblich treu blieb: Bauten in Pastelltönen mit Kuppeln in kräftigem Blau oder Grün. Beibehalten hat man auch das Schriftband „Das neue Jerusalem“, den Lebensbaum links, die Pforte und auch die graue Stadtmauer, von der man wieder jeden einzelnen Stein sehen kann.

 

Gustav Kühn (1794-1868), ein Konkurrent von Oehmigke & Riemschneider, trat mit seiner Fassung 1847 auf den Plan (Museum Neuruppin, Inv.-Nr.: B-243-K). Die Bildgesamtgröße beträgt 40 x 34 cm, hier zu sehen ist das für das Thema relevante obere Drittel. Diese Arbeit ist in mehrfacher Hinsicht einzigartig: Zunächst sehen wir unterschiedliche Sakralbauten, wie links eine orthodoxe Kirche oder rechts das Pantheon. Damit konnte angedeutet sein, dass im Himmlischen Jerusalem die Trennung in unterschiedliche Glaubensrichtungen aufgehoben war. Die Himmelspforte kommt gänzlich ohne Dekor aus, sie erscheint fleckig und hat sogar Risse! Noch merkwürdiger ist die ihr aufgesetzte Beschriftung: „Der Welt Heiland“ – so ist weder zuvor noch nachher jemals das Neue Jerusalem betitelt worden. Auch das Rautenmuster auf der Stadtmauer ist ein Einfall Kühns, was man so noch nicht gesehen hat. In einer Variante, ebenfalls von 1847, wurde von Kühn die markante Musterung der Stadtmauer übrigens ebenso weggelassen wie der Strahlennimbus um das Christushaupt (Museum Neuruppin, Inv.-Nr.: B-704-K).

 

Aus Süddeutschland stammt diese Fassung des Künstlers S. B., bei der, höchst ungewöhnlich, im rechten Teil auf die Stadtmauer verzichtet wurde. Die Gesamtgröße beträgt 38 x 30 cm, hier zu sehen ist lediglich die obere Hälfte mit der Himmelsstadt (Museum Neuruppin, Inv.-Nr. 04738). Entstanden ist die Arbeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Neu ist, dass auf einmal zwei Bäume zu finden sind. Auch die Gestirne sind von den Seiten zur Pforte hin gerutscht, die lediglich aus einem schmalen, hohen Bogen zu bestehen scheint. Es ist die einzige Fassung, wo sie mit „Himmels-Pforte“ beschrieben ist. In ihr steht wieder Petrus, auch der Hahn wurde nicht vergessen, diesmal auf der rechten Seite.

 

Diese handkolorierte Lithographie, von der hier die obere Hälfte zu sehen ist, hat den Titel „Der Weg zum Himmel und der Weg zur Hölle“. Es handelt sich um ein insgesamt 43 x 34 cm großes Zweiwegebild, welches von R. Ackermann, der in Wissembourg die Nachfolge von F. C. Wetzel übernommen hatte, herausgebracht wurde. Es wurde vor allem in die Schweiz exportiert. Das Blatt ist heute im Besitz des Museums der Kulturen in Basel (Inventarnummer DW Privat 01). Im oberen Teil werden drei offene Bögen gezeigt, hinter denen Säulen das Neue Jerusalem überwölben. Die tragenden Elemente erinnern den heutigen Betrachter an den floralen Jugendstil, obwohl die Zeichnung um 1850 entstanden ist. Die Konzeption der Himmelslandschaft ist in vielen Details originell und durchdacht. So ist der goldene Nimbus der mittigen Christusfigur an die Stelle gesetzt, die an den Seiten die gelbe Sonne und der Mond einnimmt, um eine Einheitlichkeit herzustellen.

 

Die früheste Fassung von dem Maler Johann Heinrich Renz (1799-1868) aus Stuttgart datiert um 1850 (aus dem Museum Neuruppin, Inv.-Nr. 02273). Hier wurde ein Lebensbaum eingefügt, den man auch als Tugendbaum bezeichnen kann, wie er von Bowles und Carver her bekannt war. In seinen Ästen sind neun Früchte eingezeichnet, wie Liebe, Geduld, Friede etc. Drei der Früchte wurden übrigens vergessen. Die Engelsfiguren, die Sonne und der Mond hingegen wurden vollständig gestrichen. Mit der Figur in der Pforte war man offensichtlich noch immer nicht zufrieden und fügte diesmal einen Christus mit Kreuz, aber ohne Krone ein. Die Pforte hingegen ist neu, mit klassizistischen Merkmalen. Sie trägt jetzt den Schriftzug, der bislang auf der Stadtmauer zu finden war.

 

Um 1860 erscheint eine neue Zweiwegebild-Fassung auf dem Markt. Die Stadtmauer und die Bauten sind keine Besonderheiten, man findet sie auch auf anderen Arbeiten. Man erkennt Fassungen dieses Typus‘ aber sogleich an der neobarocken Pforte, auf der sogar eine Feuerschale thront. Die grelle Farbigkeit ist ein Merkmal dieser Lithographie aus dem British Museum (Nr. 2012,7020.3); es gibt auch andere Beispiele, die gänzlich anders oder gar nicht koloriert wurden. Das Blatt wurde von einem R. Ackermann bei „C. Burckardt’s Nachfahren“ in Wissembourg/Weißenburg gedruckt, die Gesamtmaße betragen 43 x 33 cm. Prinzipiell unverändert wurde das Blatt noch am Ende des 19. Jahrhunderts gedruckt, vgl. ein entsprechendes Blatt dazu im Museum Europäischer Kulturen, Berlin (Sammlung Gertrud Weinhold).

 

Die Renz-Fassung war überaus erfolgreich, hier eine Variante aus dem Bayerischen Nationalmuseum München, Inv.-Nr. NN 4079. Sie ist von ca. 1870/80, als Renz bereits verstorben war, und wurde in Reutlingen bei dem Traditionsverlag Enßlin und Laiblin als kolorierter Holzschnitt hergestellt. Korrekt hat man erkannt, dass dem Tambour die Kuppel fehlt und das Gebäude vervollständigt. Auch die beliebten Engel sowie die Gestirne wurden wieder aufgenommen. Die Vedute hat an Detailgenauigkeit und Ausdifferenzierung gewonnen. Die Mauer ist durch zwei zinnenbekrönte Türme deutlicher als Stadtmauer auszumachen. Die Figur im Haupttor ist nun anhand der Siegesfahne und der männlichen Gesichtszüge als Christus zu erkennen. Während in der älteren Fassung die ganze Stadt auf stilisierten Wolken schwebte, steht hier allein Christus auf einer Wolke. Das Reutlinger Bild basiert auf einer älteren Variante, die bei dem Verleger Dick in Ulm erschienen ist.

 

Ein weiteres Beispiel aus Wissembourg/Weißenburg zeigt das Neue Jerusalem mit einer martialischen, abweisen Stadtmauer. Unterbrochen wird es nur von Christus dem König in der zentralen Pforte. Dahinter gruppieren sich lose Bauten, die ganz unterschiedliche Zeiten und Stile vereinen: ein hanseatisches Backsteinhaus, einen orientalischen Wohnbau, eine Pyramide Ägyptens, einen gotischen Turm. Dazwischen findet man Laubbäume und Palmen. Die seltene Arbeit besitzt das Museum Neuruppin, das seine Entstehung auf um 1880 schätzt.

 

Eine der letzten Varianten ist diese kolorierte Lithographie mit dem neuen Titel „Der Weg zum Paradies“ aus dem Verlag Eduard Gustav May, insg. 38 x 26 cm groß. Sie entstand in Frankfurt am Main, um das Jahr 1890. Die Pforte ist nun zu einem dominierenden Bau herangewachsen, der aus drei Arkaden besteht. In ihnen stehen neben Petrus jetzt auch zwei assistierende Engel. Es dominiert, wie bereits bei der Urfassung, ein greller Farbton, mit dem auch die Dächer versehen wurden.

 

Um 1900 entstand zuletzt dieser Öldruck „Das Neue Jerusalem“ mit Jugendstil-Anklängen, ebenfalls in Frankfurt am Main. Diese insgesamt 43 x 34 cm große Fassung des Zweiwegebildes wurde nun maßgeblich modernisiert. Neu ist vor allem eine Blüten- und Früchteranke am oberen Bildabschluss. Auch die Stadt ist mit Bäumen und Büschen versehen. Im Zentrum des Geschehens steht ein gewaltiges Barockportal mit einer auslaufenden Treppe. Auf ihr steht nicht Christus, sondern Petrus, der in der einen Hand einen Schlüssel hält und mit der anderen nach oben verweist. Noch 1953 wurde in Dresden vom Verlag Kunstanstalten May AG eine bemerkenswerte Kopie herausgegeben. Dieser Farbdruck „La Nueva Jerusalén“ entstand unter der Mitarbeit des Künstlers R. Tesan. Das Werk war nicht für die wenigen Katholiken der DDR bestimmt, sondern ging ins nichtsozialistische Ausland, etwa ins diktatorische Spanien. Es existiert auch eine identische französische Fassung, über deren Torbogen „La Nouvelle Jerusalem“ zu lesen war.

 

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