
Irgendwann im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts entstand das gewaltige Weltgerichtsfresko am Ende des Mittelschiffs im Wiener Neustädter Dom. Der Triumphbogen zeigt in zehn Meter Höhe an der linken Seite einen schiefen Turm als Himmelspforte. Es ist ein extrem lang nach unten gezogener Bau, der vor allem dazu dient, die übergroße Petrusfigur aufzunehmen, die an den Seiten die Pforte überragt. Nach oben schließt die Pforte mit einem kleinen Dreiecksgiebel. Eine Reihe kirchlicher Repräsentanten in prächtigen Gewändern nähert sich der Pforte hier von links (und nicht, wie meist, von rechts). Diese vertreten auch bestimmte mittelalterliche Stände, wie den Bischof oder den Mönch. Diese findet man bei einem Weltgericht fast immer in der ersten Reihe, auch sehr oft den Papst. Christliche Bescheidenheit ist hier nicht gefragt, sondern wer sich in die erste Reihe drängt, der hat die größte Chance auf Einlass. Frauen, Tagelöhner, Soldaten oder fahrendes Volk, die den Hauptteil der mittelalterlichen Gesellschaft ausmachten, findet man sowohl im Dom der Wiener Neustadt nicht und auch sehr selten anderswo.
Hingewiesen werden soll noch auf den Lebensbaum über der Figurengruppe und auf die Marienfigur rechts. Die Architektur wie auch die Physiognomie der Figuren deuten auf lombardische Einflüsse. Die spätgotischen Fresken wurden im Jahr 1978 freigelegt und sind heute der Rest einer Bemalung, die einst die gesamte Kirche umfasste.
Gertrud Gerhartl: Der Dom zu Wiener Neustadt, 1279-1979, Wien 1979.
Peter Aichinger-Rosenberger (Bearb.): Niederösterreich südlich der Donau. Teil 2: M bis Z, Wien 2003.
Georg Niemetz: Dom Wiener Neustadt, Regensburg (2003) (4).
Mario Schwarz: Die Baukunst des 13. Jahrhunderts in Österreich, Wien 2013.