Corpus-Apokalypse (1329-1339)

MS 20 aus der Parker Library des Corpus Christi College in Cambridge (daher der Name Corpus-Apokalypse) ist mit 106 Miniaturen reichlich bebildert. Sie wurde für Sir Henry de Cobham (geb. 1260) in den letzten zehn Jahren vor seinem Tode 1339 angefertigt. Anschließend war sie im Besitz von Juliana de Leybourne, der Countess of Huntingdon (um 1303-1367), die die Schrift der Abtei St Augustine in Canterbury übereignete.

MS 20 ist feingliedrig gezeichnet und geradezu liebevoll und detailversessen gearbeitet. Für jede Miniatur investierte der anonym gebliebene Künstler viel Zeit; zunächst, indem er eine eigenständige Bildkomposition erarbeitete, und dann, um sie auszuführen. Dabei erscheinen auch wieder die Blümchen an den Ecken der Miniaturen, was wir bereits von der Greenfield-Apoklaypse (um 1320) kennen.
Fol. 55v zeigt das Himmlische Jerusalem eher als kompakten Einzelbau denn als Stadt. Hier sind übrigens Tor und Fenster geschlossen. Sogar das Schloss, zu dem Petrus allein den Schlüssel hat, ist deutlich zu erkennen. Der Künstler interessierte sich für perspektivisch korrekte Darstellung, war damit aber letztlich überfordert. Das wird vor allem im oberen Bereich mit seltsam verschobenen Bauteilen deutlich. Im unteren Bereich bleibt offen, ob hier eine Stadtmauer angedeutet ist oder zwei weitere Sakralbauten, die symmetrisch das mittige Tor flankieren. Christus, der Herrscher der Stadt, ist auf fol. 57r in einer schmalen Mandorla dargestellt, während auf fol. 55v die gleiche Gestalt wie auf fol. 57r zu finden ist: Johannes der Seher.

 

Wie viele andere Apokalypsen des 14. Jahrhunderts wird das Neue Jerusalem nicht als großes urbanes Ereignis präsentiert, sondern die Stadtdarstellungen sind eher Abbreviaturen zeitgenössischer, hier englischer, Kirchenbauten (vgl. dazu fol. 51r von MS 815). Das ist auch bei fol. 55v der Fall. Die Kirche ist derart minutiös gezeichnet, dass hier sicherlich ein historischer Bau, vermutlich eine Kathedrale, zur Vorlage diente. Es ist in diesem Falle nicht die Kathedrale von Cambridge, sondern die von Salisbury, die im frühen 14. Jahrhundert ihren markanten Vierungsturm erhielt.

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