Eine 40 Quadratmeter große Wandmalerei von Rudolf Yelin dem Jüngeren (1902-1981) wurde in der evangelischen Kirche von Pflummern, einem Ortsteil von Riedlingen in der Schwäbischen Alb, ausgeführt. Diese Malerei wurde speziell in einer Glättspachteltechnik auf Basis von Kunstharzdispersionen im Altarbereich aufgetragen. Die damals neue Verfahrensweise steht im Zusammenhang mit den Entwicklungen in der Anstrichtechnik; in den 1950er und 1960er Jahren fand diese Methode im Baubereich vielfachen Gebrauch, im Ergebnis entstehen dadurch spiegelglatte Wandflächen. Auch Yelin verwendete die Glättspachteltechnik mehrfach, etwa bei seiner Wandmalerei in Enzberg.
Die Gemeinde wünschte sich damals unter dem Pfarrer Max Zantow ein Weltgericht mit den klassischen Themen, figürlich, aber in einer modernen Formensprache. Die einzelnen Bildelemente brachte dann Yelin mit, der an solchen Konzeptionen nun schon über dreißig Jahre Erfahrung als Künstler hatte. Wie andernorts auch arbeitete Yelin hier im historischen Bestand. Obwohl der Bau schon 1829/30 aufgezogen war, blieb er protestantischer Nüchternheit verhaftet: der Altarbereich war vor Yelins Umbauten lediglich mit einem Kreuz vor weißer Wand ausgestattet – auch das hatte seinen speziellen Reiz.
Von September 1963 bis August 1964 wurden von Yelin und zwei Gehilfen, Heide Förster und Detlef Freudig (geb. 1938), umfangreiche Malereien ausgeführt, nicht nur das Altarbild entstand, sondern ein den gesamten Raum betreffendes Farbkonzept, zu dem auch der Einbau brauner Holzpaneele gehörte.
Auf der Altarwand wurden oben links die Tore des Himmlischen Jerusalems aufgemalt, als Ansammlung einfacher Rechtecke. Sie wurden so eng aneinander gesetzt, dass sich eine Mauer dazwischen erübrigt bzw. nicht sichtbar wird. Yelin nutzte hier unterschiedliche, durchgängig trübe Farben, vorzugsweise ein Ocker, Rotbraun und Blau. Die Tore sind als Bauklötzchen gehalten, die im Bauhaus erfunden wurden und in der klassischen Moderne beliebt waren, sei es als geometrisches Muster, oder, wie hier, zur Darstellung serieller Architektur zitiert wurden. Was sich hinter dieser Wand aus Toren verbirgt, bleibt verborgen. Korrespondierend dazu hat Yelin unten rechts Babel als untergehende, in sich zerfallende Stadt gesetzt, dazwischen Christus als Weltenrichter auf dem Regenbogen in einer mittelalterlich angelehnten Mandorla vor blau-türkisem Hintergrund, welcher von unten nach oben heller wird.
Eine Besonderheit ist das singuläre Tor, welches auf die Seite von Babel, also die rechts Seite, hinübergerutscht ist. Eine solche Gegenüberstellung (Stadt mit vielen Toren/Häusern versus einzelne Himmelpforte) findet man schon früher bei Yelin, allerdings bei einer Glasmalerei, umgesetzt 1962 in Untergruppenbach. Hier in Pflummern ist die Zahl der Tore insgesamt nicht klar, da Häuser und Tore ineinander übergehen. Wie oft vermeidet es Yelin, die Stadt konkret mit zwölf Toren zu zeigen, er bevorzugt das Unklare, nicht Definierbare, Offene. Andere Bildelemente sind hingegen eindeutig zu bestimmen: Rechts zwei Engel mit Posaunen, links ein Engel mit dem aufgeschlagenen Buch des Lebens, darunter eine Ansammlung von Menschen, die gerade aus den Gräbern erweckt wurden. Hier sind es genau zwölf Personen, was darauf deutet, dass es die Jünger/Apostel sein sollen.
Im Œuvre Yelins wurden in Pflummern ungewöhnliche Maßnahmen ergriffen, um die Wandmalerei zu erhalten, zumal bereist ein Drittel vor Verlust bedroht war. Schon 2009 wurden in einer Diplomarbeit spezielle konservatorische Maßnahmen entwickelt, die dann 2013 auch tatsächlich umgesetzt wurden. Damit nicht genug: Die Kirche musste eine kontrolliertes Klimasystem einbauen, das speziell auf das Wandbild ausgerechnet ist. Zuschüsse der Deutschen Stiftung Denkmalschutz haben nur einen Teil der Mehrkosten auffangen können. Summiert man die Summen der Erhaltungsmaßnahmen, so waren sie (inflationsbereinigt) etwa 80 Mal so hoch wie das bescheidene Honorar, welches Yelin 1964 erhalten hatte. Einmalig in Württemberg: eine Tafel an der Kirche informiert nicht etwa über den sakralen Gehalt des Kunstwerks, sondern berichtet ausführlich über konservatorische Maßnahmen. Warum ausgerechnet diese eine Yelin-Malerei so in den Fokus der Denkmalpflege geraten ist, während andere seiner Kunstwerke unbeachtet blieben oder sogar ausgebaut oder entfernt wurden, ist eine offene Frage.
Farbaufnahmen aus der Zeit der Entstehung wurden in den 1960er Jahren nicht gemacht, jedenfalls sind keine bekannt geworden. Durch die sorgfältige Restaurierung war es jetzt möglich, das Kunstwerk optisch so einzufangen, wie Yelin und die Gemeinde es 1964 vor sich hatten. Vor allem das Neue Jerusalem, dass im oberen Bereich den Temperaturschwankungen besonders ausgesetzt war, hat wieder seine einstige Strahlkraft.
Viola Lang: Die Wandmalerei von Rudolf Yelin d. J. in der evangelischen Kirche in Pflummern, Stuttgart 2009.
Claus Bernet: Denkmalschutz, Denkmalpflege und UNESCO-Weltkulturerbe, Norderstedt 2020 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 47).
Viola Lang: Präventive Denkmalpflege – Erforschen, Sichern, Warten. Zum konservatorischen Umgang mit dem Wandbild, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 3, 2024, S. 220-227.
Rudolf Yelins des Jüngeren in der evangelischen Pfarrkirche in Pflummern (Riedlingen)
Konservatorische Maßnahmen an der Yelin-Altarwand, in: Gemeindebrief der evangelischen Kirchengemeinde Pflummern-Heiligenkreuztal, Juni 2024, S. 7.