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Joseph Harry Anderson (1906-1996): Kristalline Jerusalemsinterpretationen (20. Jh.)

Joseph Harry Anderson war sicherlich einer der erfolgreichsten Künstler der Adventisten, der im Laufe seines Schaffens das Himmlische Jerusalem überaus oft dargestellt hat. Die folgenden Beispiele belegen, dass er durchaus zu einer eigenständigen Formsprache gefunden hat, die zu ganz unterschiedlichen Publikationen passte. Eine der ersten Gemälde zum Thema entstand im Jahr 1953. Der Künstler zeigt Jesus in einer paradiesischen Landschaft. Im Hintergrund erhebt sich die Stadt Jerusalem als eine Art Kristalldom: Spitze Zacken ragen nach oben, wo sie von einem Regenbogen überspannt sind. Einzelheiten wie Mauern oder gar Bauten können durch die opake Struktur nicht erkannt werden, auch farbliche Nuancen fehlen, alles ist in ein milchiges Weiß getaucht.

 

Nur zwei Jahre später verwendete Anderson die identischen Bildelemente für eine Illustration zu der Serie „Bible Story“, dort für Band 6 (S. 65), der 1955 erschien. Auch wenn hier Anderson namentlich nicht genannt ist, können wir im Vergleich mit der älteren Arbeit erkennen, dass es die Handschrift dieses Künstlers ist. Die Wirkung der kristallinen Strukturen ist hier sogar noch gesteigert, da sie sich im Wasser spiegeln.

 

Leicht verändert wurde die Konzeption für die letzte Illustration zum Thema Himmlisches Jerusalem auf der Seite 443 der adventistischen Publikation für Jugendliche „Your Bible and You“ von 1959. Sie zeigt übrigens Jesus mit bereits moderneren Gesichtszügen, wie sie für zukünftige Publikationen der US-amerikanischen Adventisten kennzeichnend werden sollten (etwa bei Lars Justinen). Im Hintergrund wurde der kristallinen Stadt jetzt eine Stadtmauer mit zwei offenen Toren beigegeben. In den Kristallen lassen sich erstmals Bauten erkennen, und auch Farbe (gelb) wurde stärker als zuvor eingesetzt.

 

Im Jahr 1962 beteiligte sich Anderson auch an „Bedtime Stories“, der zweiten großen Serie US-amerikanischer Adventisten für Jugendliche. Sein Beitrag ist im 12. Band enthalten (S. 190). Es ist ein „typischer Anderson“: Das weiß strahlende Jerusalem ist von einem Regenbogen überspannt und besteht aus spitzen Zacken, die an ein Feuer erinnern lassen – das eigentliche Augenmerk ist allerdings auf Christus und die Kinder gerichtet.

 

1965 vollendete er die Malerei „Conditional Faith“ / „Halbherziger Glaube“. Auch hier finden wir Jesus im Paradies, vor dem Lebensfluss, der aus der Stadt im Hintergrund kommt. Die Farben sind kräftiger als bei seinen vorherigen Druckwerken. Anderson, der für seine Darstellung des Himmlischen Jerusalem bei Adventisten bekannt war, hat solche Malereien auch für Privatkunden angefertigt; es ist nicht auszuschließen, dass noch weitere Fassungen existieren.

 

Eine solche Fassung wurde erst postum, im Jahr 2006, durch die Zeitschrift Adventist Review bekannt. Die Stadt ist breiter und der Regenbogen wurde bei dieser Fassung weggelassen. Deutlich ist zu erkennen, was sich auch bei den vorangegangenen Abbildungen zeigen lässt: Die weiße Stadt leuchtet wiederum weiß, wodurch sich die Umrisse bzw. die Silhouette nicht klar abzeichnet. Die Uferlinien bilden hier einen geschickten kompositorischen Kontrast in die Horizontale zu der stark vertikal ausgerichteten Stadt.

 

Wirklich bekannter werden sollte die Jerusalemsinterpretation von Anderson im Jahr 1978. Damals erschien eine zweibändige Ausgabe von „Triumph of God’s Love“ von Ellen G. White. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsausgabe der Review and Harald Publishing Association und der Pacific Press Publishing Association. Nach den Angaben aus dem Impressum hält die Review and Harald Publishing Association die Rechte an dem Text, während die Bilder von der Pacific Press Publishing Association beigesteuert worden sind und bereits 1950 vorlagen. Ob das auch für das Cover gilt? Dieses Coverbild mit der typisch kristallinen Struktur des Neuen Jerusalem und der Christusfigur als junger Mann mit weißem Gewand und Krone zeigt einen etwas anderen Bildaufbau: Die Paradieslandschaft ist (bis auf einen kleinen Rest) von den Wolken freigelassen, und die Stadt erhebt sich wie eine Pyramide, deren Stufen an beiden Seiten symmetrisch ausgearbeitet sind. Christus lässt sich hier nicht mehr von Kindern ablenken, sondern erscheint als mächtiger König, Retter und Erlöser.

 

Auch als Glasfenster ist die Fassung von Anderson mit seiner Kristallstadt einmal aufgegriffen worden. Das Fenster „New Jerusalem“ der Adventistenkirche in Eugene (Oregon) wurde von Ron Wilson eingebaut, einem Mitglied der Gemeinde. Für das Fenster sammelte Wilson seit 1998 Glasstücke, zum Teil auch aus alten Kirchen der USA und aus Europa, bis er 2008 dieses Meisterwerk als Glas-Triptychon vollenden konnte. Die paradiesische Landschaft ist ebenso zu finden wie Szenen des Tierfriedens. Allein bei der Stadt im Hintergrund hat Wilson noch eine goldene Pforte hinzugefügt, die sich gut von dem Silber der Stadt abhebt.

 

Zum Künstler:

Joseph Harry Anderson wurde am 11. August 1906 geboren. Sein Vater Joseph nannte alle seine männlichen Kinder „Joseph“, so dass jeder Sohn seinen zweiten Vornamen zuerst trug, daher wurde zur Unterscheidung Harry Anderson sein gebräuchlicher Name. Ursprünglich wollte er Mathematiker werden, entdeckte aber 1925 während seines Studiums an der University of Illinois sein Talent und seine Liebe zum Zeichnen und Malen. 1927 zog er nach Syracuse (US-Bundesstaat New York) und besuchte mit seinem Freund und Künstlerkollegen Tom Lovell die Syracuse School of Art für eine klassische Kunstausbildung. Er schloss sein Studium 1931 während der Weltwirtschaftskrise ab und hatte zunächst Schwierigkeiten, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Innerhalb eines Jahres verdiente er aber mit Kunst für Zeitschriften genug, um nach Chicago zurückzukehren. Bis 1937 arbeitete er an nationalen Werbekampagnen und arbeitete für eine beeindruckende Reihe großer amerikanischer Zeitschriften und Firmen, wie American Airlines, American Magazine, Buster Brown Shoes, Coca-Cola, Collier’s, Cosmopolitan, Cream of Wheat, Esso, Ford, Good Haushalt, John Hancock Mutual Life Insurance Company, Ladies‘ Home Journal, Massachusetts Mutual, Ovomaltine, Redbook, The Saturday Evening Post, Woman’s Home Companion, Wyeth und andere.
Um 1940 heiratete er Ruth Huebel, eine Frau, die in seinem Atelier gearbeitet und für ihn posiert hatte. Im folgenden Jahr arbeitete Harry Anderson für das Haddon Sundblom’s Atelier. 1944 schlossen sich Anderson und seine Frau der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten an, und auf Anfrage malte er 1945 sein erstes Jesus-Gemälde. Andersons Gemälde „What Happened to Your Hand?“, das Jesus mit modernen Kindern darstellte, wurde von einigen Erwachsenen als blasphemisch verschrien, wurde aber schließlich im Verlagsprogramm abgedruckt, nachdem sich die Tochter des Herausgebers sehnsüchtig gewünscht hatte, auch sie könnte auf Jesu Schoss sitzen wie das Mädchen auf dem Gemälde. Dies war das erste Gemälde von Anderson, das Jesus in einer modernen Umgebung zeigt. Von da an teilte der Künstler seine Zeit ein zwischen kommerziellen und religiösen Illustrationen. Er malte ungefähr 300 religiöse Illustrationen für die Review and Herald Publishing Association, worunter knapp zehn davon das Neue Jerusalem zeigen.
Anderson wurde 1956 in einer Ausgabe von American Artist vorgestellt und im Laufe seiner Karriere von mehreren Verbänden ausgezeichnet. Er wurde u.a. in den New Yorker Art Directors Club und 1994, zwei Jahre vor seinem Tod, feierlich in die Hall of Fame der Society of Illustrators‘ aufgenommen.
Mitte der 1960er Jahre erhielt er den Auftrag, auch eine Reihe von Gemälden für die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage zu schaffen. Danach fertigte er fast zwei Dutzend weitere Gemälde für diese Glaubensgemeinschaft an. Vergrößerte Fassungen von vielen davon sind im Besucherzentrum des Temple Square und in der Lobby des Bürogebäudes der Kirche in Salt Lake City (Utah) und an anderen prominenten Kirchenstandorten ausgestellt. Nachdrucke einiger von Andersons Gemälden hingen zeitweise in fast jedem Gemeindehaus.
In seinen 1970er und 80er Jahren malte Anderson übrigens auch für mehrere Kunstgalerien Western-Themen. Am 19. November 1996 verstarb der Künstler, der vielleicht der bekannteste freikirchliche Maler des 20. Jahrhunderts war.

 

tags: Adventisten, USA, Kristall, Jesus, Christus, Paradies, Kristalldom, Regenbogen, Jugendbuch, Kristallstadt, Tierfriede, Paradies, Glasfenster
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