Charles de Bouelles: Liber de intellectu (1510) und Athanasius Kircher (1602-1680)s „Arithmologia“ (1665)
Eine der ersten schematischen, tendenziell abstrakten Ansichten des Himmlischen Jerusalem in der Frühen Neuzeit legte Charles de Bouelles (1479-1567) vor. Er war ein französischer Theologe, der bedeutendste Schüler des Reformhumanisten und Bibelübersetzers Jakob Faber Stapulensis (1450 oder 1455-1536). In fast allen seinen Büchern kommt de Bouelles auf Jerusalem zu sprechen, oft bereits im Titel, am deutlichsten wohl in seiner im Jahr 1531 gedruckten Schrift „De Laude Hierusalem liber unus“ („Lob Jerusalems, Band 1“). In seinem Kompendium „Liber de intellectu“ („Buch des Verstandes“) von 1510 ist auf Seite 170 der einfarbige Grundriss einer schematischen Stadt eingefügt. In der Mitte dieser Stadt befindet sich der Thron Gottes, beschriftet mit „Ihesus Rex“. Dieser Thron oder, nach anderer Lesart, diese Krone, ist um 90 Grad versetzt in ein Quadrat eingefügt, in dessen vier Zwickeln sich die Buchstabenfolge Hie-ru-sa-lem finden lassen. Um dieses innere Quadrat ziehen sich die Tore der Stadt, an jeder Seite drei, beschriftet mit den zwölf jüdischen Stämmen. Diese im Umriss quadratische Anlage ist der Ausgangspunkt von jeweils zwölf Planeten, Edelsteinen, alt- wie neutestamentlichen Personen, Gemütszuständen etc.: Jerusalem ist quasi Ausgangspunkt des gesamten Wissens, der Schöpfung und der Gelehrsamkeit. Vom Zentrum her bewegen sich zwölf Schichten an den Rand, die ganz unterschiedlich beschriftet sind, mal mit Zahlen, mit biblischen Figuren, den Edelsteinen oder auch Planeten.
In ihrer Perspektive könnte die Zeichnung auch eine Pyramide von oben zeigen, ebenso ein Blick von unten in eine Pyramide hinein wäre denkbar. Neben dem Quadrat ist die Pyramide bekanntermaßen eine der beiden möglichen Grundformen des Himmlischen Jerusalem, bei der Länge, Breite und Höhe gleich lang sein müssen.
Charles de Bouelles: Liber de intellectu, Paris 1510.
Joseph M. Victor: Charles de Bovelles, 1479-1553: An intellectual biography, Genève 1978.
Ernst Cassirer: Individu et cosmos dans la philosophie de la Renaissance, Paris 1983.
Athanasius Kircher (1602-1680) war ein umstrittener Gelehrter. Mit Fakten nahm er es nicht genau, und viele seiner Schriften sind Plagiate übelster Art. Dann wieder besaß er durchaus Originalität, beschritt eigene, noch unbetretene Wege. Als Universalgelehrter des Humanismus veröffentlichte er zu fast allen Wissensgebieten seiner Zeit, selbst zu solchen, bei denen ihm das eigene Wissen fehlte. Zu seinem Alterswerk gehört die lateinische Schrift „Arithmologia sive de abditis numerorum mysterijs“, die 1665 an seinem Wohnsitz in Rom erschien. Zu fol. 291 ist die „Typus mysticus calestia Ierusalem“ dargestellt, eine Kombination zwischen ineinandergreifendem Text und Bild zur Erläuterung von Kirchers Jerusalem-Imaginationen. Wichtig: zur Erläuterung der einfarbigen Abbildung nützen die Ausführung Kirchers wenig, da er das Bild einfach von Bouelles kopiert hatte, ohne seinen eigenen Text darauf abzustimmen.
Brian L. Merrill: Athanasius Kircher (1602-1680), Jesuit scholar, Provo 1989.
Anne Eusterschulter: Hermetische Spiele der Natur und der ludische Charakter des Wissens, in: Peter-André Alt, Volkhard Wels (Hrsg.): Konzepte des Hermetismus in der Literatur der Frühen Neuzeit, Göttingen 2010, S. 213-257.