Mscr. Dresd. Oc.49: Burgunder Apokalypse (1300-1350), Kopien MS Français 152 und MS Add. 38118 (14. Jh.)

Diese altfranzösische Handschrift war einst im Besitz von Philipp III. in der Bibliothek der burgundischen Herzöge aufbewahrt. Seit 1737 ist sie im Besitz der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek in Dresden, die die Apokalypse von dem Auktionator Gottfried Selle (1717-1767) erworben hat. Ich erinnere mich noch, wie schier unmöglich es in der Deutschen Demokratischen Republik war, sie im Original sehen zu dürfen: Man musste einen Antrag stellen, dazu ein Gutachten, dann einen Termin ausmachen, für den man noch eine Gebühr zu entrichten hatte. Schließlich folgte die Anreise in ein verwinkeltes und baufälliges Bauwerk aus der Kaiserzeit, dass mir älter als die Handschrift erschien. Schließlich vor Ort in Nähe des begehrten Objekts wurde dann von einem Kunst-Bürokraten mitgeteilt, eine Einsicht wäre doch nicht möglich – ohne Erklärung, ohne Entschuldigung.

Eine der 70 Miniaturen von Mscr. Dresd. Oc.49 zeigt auf fol. 52v das Himmlische Jerusalem. Das Objekt in der Mitte sieht zunächst wie ein Tisch aus. Diese Assoziation ist gar nicht so abwegig, denn das Himmlische Jerusalem ist der Ort des ewigen Abendmahls auf einem Altar oder Tisch. Hier ist es jedoch eine Stadt. Man sieht gleichzeitig eine Seite mit drei rundbogigen Öffnungen (Fenster oder Tore) und an den Seitenkanten des Quadrates jeweils drei Turmansätze – in der Realität unmöglich, was jedoch der inneren Logik einer übergesetzmäßigen Himmelserscheinung keinen Abbruch tun. Auf jedem dieser Turmstummel ist ein betender Engel im Halbprofil dargestellt. Die rechte Seite nimmt eine große menschliche Gestalt in einem langen, schmalen Gewand ein. Dies ist nicht der Seher Johannes, sondern der ihm erschienene Engel. Seine Gesichtszüge sind leider (absichtlich?) zerstört. Er steht auf einem Felsen, und auch die Stadt scheint auf diesem Felsen zu fußen. Aus ihren drei Fenstern, bzw. drei Toren, strömt der Lebensfluss hervor und befruchtet die neue Welt.

Ludwig Schmidt: Katalog der Handschriften der Sächsischen Landesbibliothek zu Dresden, 3, Leipzig 1906, S. 258.
A.(médée) Boinet: Un bibliophile du XV. siècle, in: Bibliothèque de l’École des Chartes, 67, 1906, S. 254-269.
Wilhelm Neuß: Die ikonographischen Wurzeln von Dürers Apokalypse, in: Heinrich Konen, Johann Peter Steffes (Hrsg.): Volkstum und Kulturpolitik, Köln 1932, S. 185-197.

 

Mscr. Dresd. Oc.49 ist insofern von Interesse, da die Art und Weise der Stadtdarstellung von weiteren Miniaturen übernommen wurde. Ein Beispiel dafür ist MS Français 152 aus der Französischen Nationalbibliothek (Paris). Das Werk stammt aus dem späteren 14. Jahrhundert und wurde in Saint-Omer (Pas-de-Calais) aufbewahrt, bis es der Französischen Nationalbibliothek übergeben wurde. In dem vielseitigen Werk bringt erst fol. 514 diese Miniatur mit dem Himmlischen Jerusalem. Sie macht lediglich ein Zehntel der Seite aus und wurde von dem gleichen Miniaturisten angefertigt, der auch die übrigen Illustrationen zu diesem Band angefertigt hat. Im Vergleich zum Original sind die Zeichnungen kunstvoller, feiner, detailreicher. Der Illustrator hat zwölf Engel um ein Objekt versammelt. An den Ecken, die einen roten Hintergrund haben, heben sich die blauen Engelsflügel gut ab, an den Seiten benötigt man ein geübtes Auge. In der Mitte sind nochmals drei Tore oder Fenster zu sehen, etwas deutlicher im gotischen Stil gehalten als bei der Burgunder Apokalypse.

 

In der British Library befindet sich in MS Add. 38118 eine Miniatur, die entweder der Burgunder Apokalypse als Vorbild diente oder von Mscr. Dresd. Oc.49 nachgeahmt wurde. Wir wissen nur, dass diese Apokalypsehandschrift mit 55 Illustrationen (hier fol. 36 und 43) und einem Kommentar in französischer Sprache aus dem 14. Jahrhundert stammt. Fol. 36 findet sich in dieser Art in Mscr. Dresd. Oc.49 nicht. Gezeigt wird das Lamm Gottes, das auf einem Hügel steht, der aus der Stadt erwächst. Diese besteht aus einem Turm und ineinander geschobenen Mauerpartien, auf denen Rechtecke vermutlich Fenster darstellen. Links wirft ein Engel einen roten Gegenstand auf den Boden. Es ist nicht ganz klar, was hier gezeigt sein soll. Der Gegenstand ist eine Sonne (vgl. fol. 24r von MS 75), die eigentlich zu Maria rechts gehört. Vielleicht ist es die Szene, die das Binden des Teufels auf tausend Jahre thematisiert.

 

Fol. 43 kennen wir dann bereits aus Mscr. Dresd. Oc.49. Hier allerdings sind die Linien klarer, die Beschädigungen geringer, und auch der Engel hat noch seine Gesichtszüge. Im Gegensatz zu dem Vor- oder Nachbild ist der Hintergrund hier einheitlich golden, während der Rahmen eine ähnliche rot-blaue Musterung besitzt wie MS Harley 4972.

 

tags: Burgund, Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden, British Library, Apokalypsehandschrift
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