Um 1415 wurde in Frankreich eine „Histoire extraite de la Bible et Apocalypse“ illustriert. Es ist eine bedeutende Arbeit eines namentlich nicht bekannten Künstlers, den man daher den „Meister der Medaillons“ nennt. Dieser arbeitete stilistisch wie die Handschrift von MS BM 439 oder Meister Orosius, es sind alles Meistewerke der französischen Frührenaissance.
Die feinen, fast seidenen Wasserfarben auf Pergament lassen aus Kostengründen nur einen hohen Geistlichen oder Adeligen als Auftraggeber in Frage kommen.
Das Himmlische Jerusalem wird unter den 123 Blättern in zwei traditionellen Darstellungsformen gezeigt, einmal als Kirche, ein andermal als Schloss. Bei der ersten Illustration auf Blatt 116v fällt die einfache, fast ärmliche Gestaltung der Kirche auf, sie ist mit lediglich drei Seitenfenstern und einem niedrigen Dach ausgestattet, ein Kirchturm fehlt vollständig.
Offensichtlich wollte der Miniaturist bewusst zur folgenden Darstellung auf Blatt 117v einen scharfen Kontrast schaffen. Vorne wird der schlafende Johannes gezeigt, dem im Traum die Gottesstadt gezeigt wird. Diese steht offen; durch die Pforte bekommt man einen interessanten Einblick in das spätmittelalterliche Häusergewirr. Links führt ein Engel eine Seele zu der Stadt, rechts stehen Juden und „heidnische“ Gelehrte, die nicht auf Einlass hoffen dürfen.
Der Bau der Gottesstadt vermag durchaus an das Schloss Chantilly erinnern, welches aber erst nach 1560 in einer ähnlichen Gestalt errichtet worden ist. Heute ist dort das Museum Condé zu Hause, welches den mittelalterlichen Codex unter der Bezeichnung MS 28 als eine seiner Pretiosen aufbewahrt, die sich einst im Besitz des Feldmarschalls Jean Philippe Eugène de Méronde-Westerloo (1674-1732) befand.
28, in: Aumale Henri d’Orléans: Chantilly. Le cabinet des livres. Manuscrits, 1: Théologie – jurisprudence – sciences et arts, Paris 1900, S. 31-32.
Léopold Delisle, Paul Meyer: L’Apocalypse en français au XIII. siècle, Reprint New York 1965.