
Die Apokalypsenausgabe MS 439 der Stadtbibliothek von Lyon zeigt das Himmlische Jerusalem zwei Mal. Die Ausgabe entstand in der Mitte des 15. Jahrhunderts im nordfranzösischen Artois. Zunächst sieht Johannes, der von einem Engel gestützt wird, auf fol. 24v einen weiteren Engel und Gott in den Wolken. Unter diesen schwebt das Himmlische Jerusalem nach unten. Die Tore und Türme sind hier zu vier Dreiergruppen an den Ecken des Quadrats zusammengefasst. Auf den Türmen, die mit den Apostelnamen versehen sind, stehen Engel, wohingegen die Stadtmitte noch frei ist.

Das ändert sich auf dem folgenden Blatt fol. 25: die Stadt ist inzwischen „gelandet“ und breitet sich auf einem grünen Berghang aus. Auf dessen Spitze stehen drei Nadelbäume – eine eigenartige Zierde, die außerhalb der Tradition steht. Die Stadt ist verändert: An den vier Ecken findet man jeweils Doppeltürme, auf dem Mauerabschnitt dazwischen einen weiteren Turm. Wieder ist es dem Künstler gelungen, den Betrachter mit einer neuartigen Turmanordnung zu überraschen. In der Stadtmitte findet sich ein weiterer Baum, der Baum des Lebens. Er wird mit dem Lebenswasser getränkt, das aus einer gewaltigen Mandorla mit Gott und dem Christuslamm über der Stadt entspringt. Von dort gelangt es zum Lebensbaum, dann zu den Toren der Stadt, um anschließend in die Welt zu strömen.
Die goldschwere systematische Darstellung der Gottesstadt in der Gotik ist überwunden, die Miniatur experimentiert, wie auch andere Beispiele dieser Handschrift, mit einer neuen, freieren Formensprache, die im hiesigen Beispiel, wie bereits schon im Exemplar MS M. 133 der Morgan Library, die Natur mit einbezieht.