Johann Ulrich Krauß (1655-1719): Augen- und Gemüths-Lust (1706)

1706 erschien die „Heilige Augen- und Gemüths-Lust“, ein Werk, das biblische Szenen mit Emblemen verknüpfte. Die hervorragenden Kupferstiche wurden von Johann Ulrich Krauß (1655-1719) aus Augsburg beigegeben. Schon unmittelbar zuvor hatte sich Krauß im „Biblischen Engel- und Kunstwerk“ mit dem Himmlischen Jerusalem beschäftigt, und eine für seine Zeit neue, moderne Ausdrucksweise gefunden. Er vermied es aber, sich selbst zu zitieren, sondern es gelang ihm, kurz danach erneut eine weitere Bildkomposition quasi aus dem Nichts zu schaffen.
Johann Ulrich Krauß hatte sein Kunsthandwerk in Augsburg bei dem Malermeister Melchior Küsel (1626- ca.1683) erlernt, womit bereits eine seiner Inspirationsquellen feststeht. Nach mehrjährigem Aufenthalt in Wien trat Krauß in den Verlag Küsels ein. 1685 heiratete er die Tochter die Meisters, Johanna Sibylla Küsell (um 1650-1717), die auch als Kupferstecherin hervortrat. Krauß selbst gehörte mit seiner Familie der römisch-katholischen Kirche an, betonte aber in dem Vorwort zu der „Augen- und Gemüths-Lust“ den überkonfessionellen Charakter seiner Kupferstiche. Dieses Werk entstand in einer Zeit, als der Spanische Erbfolgekrieg (1701-1714) das Unternehmen von Krauß sehr in Mitleidenschaft zog. Die Umstände waren hart; alle Vorbereitungen zum Druck des Werkes waren schon Jahre zuvor getroffen, als im Dezember 1703 plötzlich das Haus des Künstlers bei einem Angriff des bayerisch-französischen Heers beschossen wurde und in Brand geriet.

Was ist auf dem Kupferstich zu entdecken? Vor einer römischen Villa lehrt Jesus seine Jünger (Teil 2, Abb. 84). Einer der Jünger deutet erstaunt nach oben, wo die Strahlen des Neuen Jerusalem die Wolken durchbrechen. Aber man sieht nicht eine quadratische Stadt mit Toren und Engeln, sondern eine klassizistische Fassade, abweisend und unbelebt. Freilich wird hier nicht ein Schloss vorgeführt, sondern die überdimensionierte Architekturfront lehnt sich an Tempelvisionen des Architekten Hieronymus Prado oder des Jesuiten Juan Bautista Villalpando an, wie man sie etwa in „In Ezechiel explanationes et apparatus vrbis, ac templi Hierosolymitani“ finden konnte, ebenso wie in der „Mathesis Mosaica“ des Samuel Reyher (1635-1714) aus dem Jahre 1679.

 

Man findet das Himmlische Jerusalem in dem Werk übrigens noch ein weiteres Mal. Es handelt sich dabei um eine Kopie aus der Mortierbibel von 1700. Diese Kopie findet sich sechs Jahre später in der „Augen- und Gemüths-Lust“ im zweiten Teil, Abb. 119. Johannes und der Engel sind von der Seite auf dem Original nun nach unten gerückt – eine für die Ikonographie eher ungewöhnliche Betrachterposition, die sich durch das Rund der Kartusche ergab. Diese ist vielleicht eine eigenständige Zutat von Johann Ulrich Krauß, ebenso wie der Bienenkorb über und die Landschaftsszene unter der Kartusche.

Otto Reichl: Die Illustrationen in vier geistlichen Büchern des Augsburger Kupferstechers Johann Ulrich Krauss, Straßburg (1933). 

 

tags: Bibelausgabe, Augsburg, Kartusche, Tempel
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