Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Zeit der Prachtbibelausgaben, die oft mit aufwendigen Illustrationen im Stil des Historismus ausgestattet wurden. Sie sind ein typisches Produkt des Großbürgertums. Selbstverständlich wurde in den schwergewichtigen Werken nicht geschmökert, sondern sie standen im Bücherregal, um anderen zu zeigen, was man sich leisten konnte.
Eine dieser Ausgaben hat sich in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart erhalten. Es handelt sich um eine Lutherbibel mit dem Titel „Grosse Haus-Bilder-Bibel: die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments“, die 1870 in Ulm herausgebracht wurde. Sie besitzt Erläuterungen von Pfarrer Johann Christoph Blumhardt (1805-1880) und dreihundert feingliedrige Zeichnungen nach Julius Schnorr von Carolsfeld (1794-1872), in Holz geschnitten von den Künstlern Allgaier und Siegle. Von den beiden sind auch andere Werke bekannt, sie traten immer im Duett auf und wer sich dahinter verbirgt, ist nicht geklärt.

Seite 458 zeigt Johannes auf Patmos und einen Engel auf einem Felssporn, von dem aus sie gemeinsam das Himmlische Jerusalem erblicken. Es ist eine relativ bibelgetreue Zeichnung, mit Wächterengeln, dem Gotteslamm in der Mitte auf dem Zionsberg und natürlich den zwölf Eingängen mit geschwungenen Zeltdächern, wie man sie aus der Schweiz kennt. Im Stadtinneren sind viele Häuser, einige mit Giebel, Fenstern und Türen, andere als ungestalteter Block, als wäre die Zeichnung noch nicht endgültig fertig. Vor den Toren diesen sind übrigens Brücken gelegt, als wäre die Stadt von Wasser umgeben. So oder ähnlich ist die Stadt seit der Merianbibel vertraut. Offensichtlich zog nicht die Stadt die Aufmerksamkeit der Illustratoren auf sich, sondern die Physiognomie der beiden Personen, die Souveränität bzw. Erstaunen gekonnt zum Ausdruck bringt.

Claus Bernet, Klaus-Peter Hertzsch: Martin Luther in seiner Zeit – und das Himmlische Jerusalem, Norderstedt 2016 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 40).