
„Meister mit dem Zeichen MI“: Bibelausgabe Endter/Wust (1662)
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Claus Bernet
- Juni 21, 2021
Auch die Lutherbibel war nach dem Dreißigjährigen Krieg in die Jahre gekommen und erforderte völlig neue Kompositionen, um dem Zeitgeschmack gerecht zu werden. Inzwischen waren vor allem Zwischentitelblätter beliebt, die den biblischen Büchern vorangestellt wurden. In einer Bibelausgabe von 1662 findet sich auf solch einem Zwischentitelblatt eine traditionelle Darstellung zum Himmlischen Jerusalem (zw. den Seiten 338/9). Sie zeigt die typischen Elemente Johannes und den Engel auf einem Fels rechts, links die Stadt im Quadrat mit Christus als Lamm in ihrer Mitte.

Eine im Aufbau ähnliche Abbildung findet sich dann in der Johannesoffenbarung des Werkes „Bibel, Das ist, Die gantze Heilige Schrifft Alten und Neuen Testaments“ von 1662 auf Seite 362. Die Ausgabe ist eine Gemeinschaftsarbeit der Verleger Endter in Nürnberg und Wust in Frankfurt am Main, die das Werk in Kommission herausbrachten. Der hiesige Stich ist rechts unten mit „MI“ signiert, der unbekannte Künstler bekam den Notnamen „Meister mit dem Zeichen MI“.
Das Himmlische Jerusalem wurde in eine urwüchsige Natur eingebunden, in der noch Lembergers Darstellungsweise anklingt. Aus den Strahlen um die Stadt, die in den vorangegangenen Ausgaben immer deutlicher das Bild bestimmt haben, ist nun eine Sonne über der Stadt geworden – was eigentlich dem Wortlaut des Bibeltextes widerspricht, da die Stadt allein vom Geist Gottes erleuchtet werden soll. Der Aufbau der Stadt, die weder dem Quadrat noch dem Kreis entspricht, ähnelt übrigens sehr einem Reliefbild von Heinrich Schickhardt der Kirche zu Ehningen aus dem frühen 17. Jahrhundert.
Claus Bernet: Holzschnitte und Kupferstiche, Norderstedt 2012 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 3).