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Tobias Stimmer (1539-1584): Stimmer-Bibel (1576)

Tobias Stimmer (1539-1584) war ein Maler und Zeichner aus der Schweiz. 1569 bis 1570 hielt er sich in Como auf, wo er im Auftrag des Basler Verlegers Pietro Perna (1519-1582) eine bedeutende Portraitsammlung des Historikers Paolo Giovio (1483-1552) abzeichnete. In Venedig soll er Arbeiten Tintorettos gesehen haben und bald seine eigenen Kompositionsskizzen nach diesem Meister ausrichten. Nach seiner Rückkehr ließ sich Stimmer in Straßburg nieder. 1576 erschien bei dem Basler Verleger Thomas Guarin (Gwarin) die von Tobias Stimmer gestaltete und von Johann Fischart (1546/47-1591) dichterisch bearbeitete Bilderbibel, unter dem Titel „Neue Künstliche Figuren Biblischer Historien“. Sie gilt als Höhepunkt Stimmers Schaffens und zeigt eine betont malerische Behandlung vieler Holzschnitte.
Die darin enthaltene Darstellung des Himmlischen Jerusalem befindet sich auf dem letzten Blatt, S. 170. Sie lässt italienische Renaissanceeinflüsse jedoch kaum erkennen. Sie erscheint, wenn man sie etwa mit den Abbildungen in „Ein schoen christlich new Spil von Kinderzucht“ (1574) vergleicht, mit der Konzentration auf das Wesentliche und der klaren Linienführung als ein typisches Stimmer-Produkt. Die Kombination von Johannes, Engel und Felsplateau hält sich eng an ältere Vorlagen. Einzig die Stadt mit ihrer runden Form und den Segmenten, die konzentrisch in die Mitte weisen, scheint doch ein origineller Einfall Stimmers zu sein. In der Stadtmitte befindet sich ein eigenartiges Gebäude mit sechs hohen Rundbögen und einer flachen Kuppel – ein Tempel kann es kaum sein, da die Gottesstadt ausdrücklich keinen Kultbau haben soll. Er erinnert entfernt an die Darstellung aus der Laternbasilika, die Stimmer noch im Original gesehen haben könnte, falls man ihm von Como einen Abstecher nach Rom zutraut. Falls nicht, war das Mosaik aus Rom selbstverständlich auch in der Literatur bekannt.

 

Dieses Himmlische Jerusalem von Tobias Stimmer, welches in keiner Bibelausgabe zu finden ist, war möglicherweise als Vorstudie zu der Ausgabe von 1576 gedacht (Kupferstichkabinett Berlin, KDA 176, A.40.1). Auch hier stehen Johannes und der Engel auf einem Felsen und blicken auf die Stadt hernieder – anders als in der Bibelausgabe jedoch auf der linken Seite. In der Linienführung und der Gestik sind es jedoch typische Stimmer-Figuren. Die Stadt besticht durch ihren Schematismus, wie ihn nur gezeichnete Idealstädte haben können. Wie bei der Bibelausgabe ist sie anscheinend an allen Seiten von einem Festungsgraben umzogen, und zu jedem der zwölf Stadttore ist extra eine kleine Brücke gelegt. Ebenfalls wie bei der Bibelausgabe wachen Engel in den Toren, und das Stadtinnere ist mit zahlreichen Bauten angefüllt.

 

Eng mit Stimmer zusammen arbeitete übrigens der Zeichner Christoph Murer (auch Maurer; 1558-1614) aus Zürich, der zunächst als Buchillustrator, später vor allem als Glasmaler hervortrat (Kupferstichkabinett Berlin, KDA KDA 152, 978-7). Sein Stich von ca. 1576, der ebenfalls in keiner nachweislichen Bibelausgabe aufgenommen wurde, zeigt inmitten der Gottesstadt auf dem zentralen Platz hebräische Schriftzüge mit dem Namen „יהוה‎/Jahwe“. Dies ist eine neue Lösung zu dem alten Problem, wie man die Stadtmitte besetzten sollte. Die schlicht wirkende Figurenführung ist eindeutig von Stimmers Bibelausgabe übernommen, wie auch die Idee des Festungsgrabens mit den zwölf Brücken. Sogar zwölf Wächterengel hat Murer eingefügt, doch nicht wie bei Stimmer in den Toren, sondern auf ihnen. Bei den Häusern hat er eine eigene Lösung gefunden, es sind gefüllte Wohnblöcke um den bereits erwähnten zentralen Platz mit der Inschrift. Vermutlich handelt es sich um eine Alternativzeichnung zu dem Bibelprojekt von Thomas Guarin. Dass ein Verleger mehrere Meister mit Vorschlägen beauftragte, war bei hochwertigen Ausgaben nichts Ungewöhnliches und ist auch von anderen Editionen bekannt. Es gibt aber auch Kurioses, was man nur hier findet: Zu 99 Prozent ist es im Neuen Jerusalem hell, meist durch eine Gloriole göttlichen Lichts. Hier jedoch fegt einmal ein heftiger Regensturm über die Stadt, man meint sogar noch den Wind in den beiden Figuren zu erkennen, die sich merklich dagegen stemmen.

Margarete Barnass: Die Bibelillustration Tobias Stimmers, Heidelberg 1932.
Max Bendel: Tobias Stimmer, Leben und Werk, Zürich 1940.
Paul Tanner: Neue Künstliche Figuren Biblischer Historien zu Gotsförchtiger ergetzung andächtig hertzen, in: Tobias Stimmer, 1539-1584. Ausstellung im Kunstmuseum Basel, Basel 1984, S. 185-199.
Tobias Stimmer und sein Umkreis. Kolloquium im Zusammenhang mit der Ausstellung zum 400. Todestag von Tobias Stimmer, gehalten im Kunstmuseum Basel am 8. Dez. 1984, Zürich 1985.
Claus Bernet: Neues Jerusalem in Österreich, der Schweiz und der Alpenregion. Ein Kunstreiseführer, Norderstedt 2014 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 18).

 

tags: Tobias Stimmer, Renaissance, Festung, Tempel, Schweiz
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