Meister Thomas von Villach: Fresken in Villach (um 1450) und Thörl (um 1480)
Der „Meister Thomas von Villach“ ist der vielleicht bedeutendste Vertreter der Gotik bei Wandmalereien in der Alpenregion. Italienische Einflüsse auf seinen Wandfresken und Tafelbildern werden immer wieder diskutiert; ob er aber selbst Italien bereiste, ist ungewiss. Gesichert ist, dass er in Villach seine Werkstatt hatte. Neben einer Wandmalerei mit der Thematik des „Lebenden Kreuzes“ hat Meister Thomas von Villach das Himmlische Jerusalem noch zwei Mal thematisiert. In all diesen Fällen hat der Meister keinesfalls die gesamten Fresken ausgemalt, sondern Ideen geliefert, Skizzen eingereicht, Gesamtkonzeptionen erarbeitet und vor allem den Ablauf der Malereien vorbereitet, begleitet und verantwortet. Ausgeführt haben die Malereien Schüler, die oft wechselten. So dürften die Schüler, die um 1250 in Villach für den Meister arbeiteten, kaum mit denen identisch sein, die eine Generation später in Thörl tätig waren.
Das erste Beispiel gehört zu seinem Frühwerk. Das Fresko befindet sich in der römisch-katholischen Pfarrkirche Sankt Ruprecht in Villach (Kärnten), wo es um 1450 angefertigt wurde. Schon 1887 wurden erste Fragmente entdeckt, 1928 dann das Weltgericht bis 1931 freigelegt. Dabei haben sich glücklicherweise die Beschläge im Fresko erhalten, die man im 16. Jahrhundert anbrachte, um den Verputz besser halten zu lassen. Verantwortlich war die Restaurationsbetrieb Campidell aus Feistritz, der es noch heute in fünfter Generation gibt. Dieses Himmlische Jerusalem ist durch Umweltschäden in Mitleidenschaft gezogen und droht gänzlich zu verblassen. Links erkennt man noch ein hochgotisches Kirchengebäude mit fünf Filialtürmen samt Kreuzblumen.
Genau hier findet man ein in sich verdrehtes Schmuckelement: In einem Kreis sind zwei Vierecke übereinander gesetzt, in deren Mitte ein siebenstrahliger Stern liegt. Solches ist einzigartig und allein dieses Detail rechtfertigt die Fresken als außerordentliches Meisterwerk. Solche Schmuckformen gab es im Eingangsbereich von Synagogen, im Kontext des Neuen Jerusalem ist es singulär.
Der mittige, hohe und schmale Eingang ist relativ gut erhalten; vor ihm begrüßt Petrus die herannahenden Geretteten, darunter ein Papst und ein Kardinal. Neben diesem Haupteingang gibt es jedoch an beiden Seiten schmalere Nebeneingänge, die alle auf einem treppenartigen Sockel fußen. Nach rechts reihen sich weitere Figuren aneinander. Da dieses Weltgericht meist direkt von vorne angesehen wird, wird eine Figur leicht übersehen. Dreht man sich etwas seitlich, erscheint bereits in der Laibung des Spitzbogenfensters ein mächtiger Engel.
An dieser Position müssten die Verwitterungen durch das Fensters besonders stark sein, doch ganz im Gegenteil ist dieses Figur wesentlich besser erhalten als der Rest! Vor allem seine Bekleidung, dann die Haltung der Figur sowie die Art der Flügel liegen irgendwo zwischen Nazarenerkunst und Art déco. Ich halte diesen Bereich für ein Komposit von Jakob Campidell oder seinem Nachfolger Adolf Campidell. Der Engel trägt übrigens nicht den Maßstaab, sondern eine Fahne. Diese sieht man, wenn man sich wieder in die frontale Position begibt. Es handelt sich um das Georgskreuz, welches zahlreiche Fresken und Ölmalereien des 15. Jahrhunderts zeigen.
Es gibt noch viele weitere Besonderheiten, auf eine soll noch verwiesen werden. Über diesem Weltgericht schwebt in Villach nicht Christus, sondern ein Tuch mit mehreren nackten Menschen, vermutlich Kindern. Es handelt sich um ein altes Motiv, meist sind es die drei Patriarchen, die die Seelen im Schoss halten, wie es die Kathedrale von Bourges zeigt. Hier jedoch werden die Seelen nicht von Abraham, Isaak oder Jakob gehalten, sondern von zwei Engeln.
In Thörl (Steiermark) befindet sich die im Stil der Gotik gestaltete Pfarrkirche St. Andrä, deren Wand- und Deckenfresken auf das Ende des 15. Jahrhunderts zurückgehen und zum Spätwerk des Meister Thomas von Villach gehören. Sie wurden 1886 entdeckt und unter Berthold Winder (1833-1888) zusammen mit Theophil Melicher (1860-1926) freigelegt. Die Komposition an der Ostwand des Triumphbogens ist traditionell: Auf der Südseite werden Auserwählte von Engeln in die Gottesstadt begleitet, die durch ein offenes Tor und einen Teil des Mauerzuges angedeutet ist. Die Architektur kann man nicht als gotisch bezeichnen, es sind zeitlose Bauten ohne Stilmerkmale. Über der Stadt hält ein Engel dem Betrachter ein offenes Buch entgegen, vermutlich ein Hinweis auf das versiegelte Buch des Lebens (Johannesoffenbarung Kap. 5). Während in Sankt Ruprecht der Papst noch vor Petrus steht, so ist in Thörl Petrus zum Papst geworden und trägt die Tiara. Die Türe hinter ihm steht offen und ihr Flügel ragt realistisch in den Raum.
Siegfried Hartwagner: Pfarrkirche St. Andrä in Thörl-Maglern, Kärnten, Thörl-Maglern 1976.
Friedrich Zauner: Das Hierarchienbild der Gotik, Stuttgart 1980.