Eine französische Kathedrale besitzt die bildhauerische Darstellung eines Themas, welches ansonsten überwiegend in der orthodoxen Kunst zur Darstellung kommt, beispielsweise eindrucksvoll im Kloster Rila. Es handelt sich um Abraham an der Himmelspforte, mit den Seligen in seinem Schoß. Diese sind meist in ein Tuch gewickelt; hier kann man noch vier Köpfe der Seligen sehen, üblicherweise sind es drei. Seitlich der Pforte ist der Heilige Petrus mit dem Schlüssel positioniert, der weitere Personen, darunter Vertreter des geistlichen und weltlichen Standes, nach innen führt. Bei diesem Bau vermischen sich also zwei Traditionen: Die der Arkade als Bauteil des Neuen Jerusalem und die der Pforte als Zugang in das Neue Jerusalem. Über der Pforte schweben Engel, die die Eintretenden mit Kronen begrüßen – ein Detail, welches im Zusammenhang mit dem Jerusalemstor sehr selten zu finden ist. Es sind übrigens die Kronen, welche Märtyrern und Märtyrerinnen verliehen werden. Der Standort dieser Skulptur ist das mittlere Portal der Kathedrale von Bourges (Départements Cher). Die Entstehungszeit wird auf zwischen 1195 und 1260 geschätzt. Der Ausschnitt stammt aus einer größeren Weltgerichtsszene, auf dem gegenüber die Hölle dargestellt ist. Wie üblich, ist auch in der frühen Gotik der Name des Künstlers leider nicht überliefert. Es muss ein Meister seines Faches gewesen sein, der sicher Erfahrung von anderen Kirchen und Kapellen mitbrachte, vor allem die Skulpturen zählen zu den schönsten Arbeiten dieser Epoche.

François Thomas: Au grand Matin: Le vitrail du Jugement dernier de la cathédrale de Bourges, Paris 1992.
Jean-Yves Ribault: Un chef-d’œuvre gothique: La cathédrale de Bourges, Arcueil 1995.
Jean-Yves Ribault: Die Kathedrale Saint-Etienne in Bourges, Rennes 1996.
Claus Bernet: Gemacht für die Ewigkeit: Steinwerke des Himmlischen Jerusalem, Norderstedt 2013 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 8).

Beitragsbild: Buchaneer