Die folgenden zwei Kupferstiche erschienen erstmals in der Londoner Zeitschrift „Christian Keepsake and Missionary Annual“ aus dem Jahr 1836. Es war eine Missionszeitschrift verschiedener Konfessionsangehöriger, die zum frommen Leben anregen wollten.
In diesem Band findet man zwischen den Seiten 114 und 115 die Zeichnung „Then said the Shephed…“ („Dann sagte der Hirte…“), die Joseph Clayton Bentley (1809-1851) nach einem Entwurf von Henry Melville (1792-1870) gestochen hat. Henry Melville ist zwischen 1826 und 1847 in England als Künstler nachgewiesen, er ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Schriftsteller, der von 1819 bis 1891 lebte. Bentleys und Melvilles gemeinsames Werk ist eine besondere Leistung der Romantik und setzt ganz auf Stimmung, emotionalen Ausdruck und Atmosphäre. Das Himmlische Jerusalem findet man hier im oberen Bereich links zwischen den Wolken (Ausschnitt). Von der Stadt erscheinen in der Ferne gewaltige Architekturfragmente, auch die Landschaft im Vordergrund ist imposant und beeindruckend, wie es die englische Romantik dieser Jahre liebte. Ganz klar: Vorlage waren die gerade aufgekommenen Drucke von John Martin.
Zwischen den Seiten 146 und 147 von „Christian Keepsake and Missionary Annual“ findet man in der gleichen Ausgabe die Zeichnung „The Wicket Gate“ („Die schmale Pforte“). Diese Arbeit wurde von William Colley Wrankmore gestochen, ebenfalls nach einem Entwurf von Henry Melville. Sie wurde später in einer Variante 1871 erneut gestochen, diesmal von Jacob D. Gross. Hier entsteht ein ganz anderer Eindruck. War in der ersten Zeichnung noch Natur das beherrschende Thema, so ist es hier Kultur. Eine Familie, darunter mehrere Kinder, haben sich vor einer Pforte eingefunden und flehen eindringlich um Einlass. Der Torwächter, der erhoben auf einer Stufe steht, schiebt bereits das Gatter beiseite, um die Gruppe einzulassen. Die klassizistisch gehaltene Pforte scheint schwer zu finden, sie ist fast völlig von Pflanzenwuchs überwuchert. Wie der Wächter ist sie in die Jahre gekommen und scheint sich in ruinösem Zustand zu befinden, erfüllt aber noch ihren Zweck. Beide Werke illustrieren übrigens Themen aus dem Roman „Pilgrim’s Progress“ des John Bunyan.
Kurz darauf hat Henry Melville sich auch an einer vollständigen Ausgabe dieses Romans künstlerisch beteiligt. 1838 erschien in Paris und London eine Neuausgabe, die der Verlag „Fisher, Son, and Co.“ herausbrachte. Es folgt auf Seite 34 ein hochwertiger Kupferstich von William Floyd nach einem Entwurf von Henry Melville. Wieder ist es eine romantisch-mystische Grundstimmung wie in einem Schauerroman: Der Pilger stürzt die Treppen nach oben und begegnet zwei versteinerten Figuren, die dramatisch die Hände vor das Gesicht geschlagen haben. Hinter diesen Figuren erscheint im gleißenden Licht der Eingang in das Neue Jerusalem, das ersehnte Ziel des langen Pilgerwegs. Ein anderer Teil der Stadt findet sich auf der gegenüber liegenden rechten Seite, wie es später Paul Gustave Doré thematisierte.
Claus Bernet: ‚The Pilgrim’s Progress‘ von John Bunyan, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 24).