Wie lange die reformatorischen Gegensätze nachwirkten, belegt dieses außergewöhnliche Kunstwerk: 1719 veröffentlichte der Mönch Friedrich Mibes (1657-1722) in Sulzbach (Oberpfalz) ein katholisches Gebetbuch unter dem Titel „Himmlisches Jerusalem Welches Durch die Würckung des Heil. Gebetts starck belagert und durch Macht und Gewalt desselben glücklich erobert wird“. Es beinhaltet eine Beschreibung des Neuen Jerusalem, versehen mit einem volkstümlichen Kupferstich. Die Komposition ist ähnlich wie zuvor auf dem Stich des Werkes „General-Sturm“ von 1706. Dargestellt ist eine naturalistische Kampfszene mit mehreren Gefechtslinien. Die Mörser und Geschütze sind mit Ziffern durchnummeriert und mit dem Buchstaben „C“ bzw. „Cap.“ versehen, da jedes Buchkapitel des Gebetbuchs für einen „Schuss“ in die Himmelsfestung stehen sollte. Da das Buch des Mibes jedoch nur aus zwanzig Kapiteln besteht, hier aber 22 Mörser und Kanonen zu sehen sind, ist davon auszugehen, das dem Stecher der Text nicht im Original vorlag oder ihm eine Nachlässigkeit unterlaufen ist.
Die Himmelsstadt des Frontispiz ist hier weder quadratisch noch rund dargestellt, sondern sternenförmig. Einzigartig sind auch die zusätzlichen Mauern in der Stadt, die diese in drei Bereiche teilen. In einem inneren, zentralen Bereich erscheint ein größerer Bau hervorgehoben, in einer Architektur, die keinem historischen Stil zugeordnet werden kann. Unter der Stadt erscheint ein Spruchband mit der Aufschrift: „Das ist Jerusalem Jeremias (?) C. 8.v“. Die nachfolgende Versangabe ist auf der Vignette nicht mehr zu erkennen.
Das Büchlein wurde mehrfach aufgelegt. Im Gegensatz zu den ersten Auflagen von 1719 und Prag 1722 wurde in den späteren Auflagen von 1754, 1761 und 1796, die alle in Sulzbach erschienen, die Aufstellungen der kleinen Figuren im Kupferstich minimal verändert. Obwohl Mibes’ „Himmlisches Jerusalem“ ein echter Erfolg katholischer Erbauungsliteratur der späten Gegenaufklärung war, ist das Werk bislang von der Forschung kaum beachtet worden. Friedrich Mibes bleibt ebenfalls ein Unbekannter, über den man kaum etwas weiß.
Claus Bernet, Klaus-Peter Hertzsch: Martin Luther in seiner Zeit – und das Himmlische Jerusalem, Norderstedt 2016 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 40).