Während der Säkularisierung wurden fast alle mittelalterlichen Lettner in denjenigen Kirchen zerstört, die zum Luthertum übergetreten waren – schon deshalb ist der steinerne Lettner der Marienkirche in Gelnhausen im Main-Kinzig-Kreis (Hessen) etwas Besonderes. Wenig bekannt ist er tatsächlich heute die älteste Darstellung des Himmlischen Jerusalem in Stein, gut ein halbes Jahrhundert älter als Grabmal im Kölner Dom (1330). Das Detail des Bogenzwickels der linken Seite, gegenüber der Orgel, zeigt einige Gerechte, wie sie in das Himmlische Jerusalem geführt werden. Dabei hält eine der Figuren eine andere mit dem Gewand, damit niemand nach unten fällt – ein positiver Gegensatz zu machen Übergriffigkeiten, wenn es um das Neue Jerusalem geht.
Das Himmlische Jerusalem konnte in dem Zwickel nicht komplex dargestellt werden und ist durch ein kleines ungeschmücktes Rundbogentor repräsentiert, zu dessen Betreten sich die erste Person bereits bückt. Der eigentliche Schmuck befindet sich auf der umliegenden Ecke: zunächst ein Biforienfenster, dann zwei ungeschmückte Spitzbogenfenster, dann eine Rosette. Eigentlich müssten diese Fragmente übereinander zu einem Gebäude zusammengesetzt werden, aus Platzgründen wurden sie aneinander gereiht, wobei es in der gesamten Gotik nie eine Rosette gab, die neben einem Fenster positioniert wurde, sondern stets über einem Fenster.
Diese Szene war, wie ursprünglich der gesamte Lettner, farblich gefasst. Der Lettner trennt das Mittelschiff und den Chor räumlich, aber nicht akustisch voneinander ab. Im Mittelalter hatten nur die Chorherren Zutritt zum Chorraum. Infolge des Konzils von Trient im 16. Jahrhundert wurden zwar die meisten Lettner wegen der nicht mehr gewollten Trennung zwischen Geistlichen und Laien zerstört; durch die friedlich verlaufene Reformation der Stadt Gelnhausen 1543 blieb die gesamte Ausstattung durch das Ausbleiben des Bildersturms als außerordentliches Kultur-, Bau- und Kunstdenkmal bis heute erhalten.
Hartmut Krohm, Alexander Markschies: Der Lettner der Marienkirche in Gelnhausen, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, 48, 1994, S. 7-59.
Waltraud Friedrich: Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland – Kulturdenkmäler in Hessen, Main-Kinzig-Kreis, II, 2, Wiesbaden 2011.
Claus Bernet: Denkmalschutz, Denkmalpflege und UNESCO-Weltkulturerbe, Norderstedt 2020 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 47).