Im 16. und 17. Jahrhundert wurden auf dem Gebiet der Ukraine plötzlich Fahrstuhlikonen populär. Um was handelt es sich dabei? Thema solcher Ikonen ist immer das Weltgericht am Jüngsten Tag, meist mit einem Himmlischen Jerusalem oben links, Christus als Richter in der Mitte und unten der Hölle. Ebenfalls links ist an der Seite ein Band aufgemalt, an dem Menschen, fast immer Mönche, wie in einem Fahrstuhl von unten nach oben gelangen, also von der Hölle oder dem Fegefeuer in das rettende Neue Jerusalem gelangen. Dieses Band besteht aus doppelt gesetzten Kästchen, bei denen links ein Teufel dem Menschen ein schriftliches Sündenregister vorhält, rechts ein Engel sich für die Rettung des Menschen ausspricht, mitunter die Rettung auch tatkräftig unterstützt. Das doppelte Band hat manchmal nur wenige Kästchen, dann aber auch über Hundert Kästchen mit einer Länge von bis zu drei Metern.
Entstanden sind Fahrstuhlikonen 200 Jahre zuvor in Russland und haben sich von dort aus ausgebreitet. Viele, nicht alle, befinden sich heute im Andrey Sheptycky Nationalmuseums in Lemberg (Lwiw), das sich auf die Sammlung dieses Bildtyps spezialisiert hat. Das ist bereits alles, was über diesen Ikonentyp bekannt ist: Forschungsliteratur zu diesem Objekt fehlt überwiegend, Auftraggeber, Entstehungshintergrund und vor allem beteiligte Künstler sind daher unbekannt. Nicht einmal, wie diese Ikonen in die Museen gelangen, ist heute bekannt oder wird öffentlich gemacht.
Lange nicht alle Fahrstuhlikonen zeigen übrigens oben das Himmlische Jerusalem. Nur diejenigen Ikonen, die dort eine Pforte oder eine Ansammlung von Bauten präsentieren, sind hier aufgenommen.
Eine der frühesten, vielleicht das früheste erhaltene Beispiel überhaupt, stammt aus den Karpaten. Fachleute halten eine Entstehung in den 1530er Jahren für möglich. Angefertigt wurde die Ikone für die orthodoxe Kirche in dem galizischen Ort Bahnovate; heute ist sie Teil der Ikonensammlung des Nationalmuseums in Lemberg (Lwiw) mit der Inventarnummer 36454/I-2122. Thema ist das Weltgericht, mit einem Himmlischen Jerusalem oben links. Männliche wie weibliche Heilige sowie zwei Engel befinden sich dort vor einer niedrigen Stadtmauer, von der kein Eingang oder Pforte zu sehen ist. Dahinter erheben sich einige Bauten im byzantinischen Stil. Wie große Teile der Ikone sind sie in einer unscheinbaren grauen Farbe gehalten, lediglich die Dächer erscheinen vergoldet. Darunter sticht ein roter Baldachin hervor, was von einem anderen Ikonentyp übernommen wurde, der Weltgerichtsikone mit Baldachin aus der Tretjakow-Galerie in Moskau (um 1450) bzw. ihrer Nachfolgerinnen.
Hryhoriĭ Nykonovych Lohvyn, Liudmyla Miliaeva, Vira Sventsits’ka: Ukrains’kyi seredn’ovichnyi zhyvopys, Kiew 1976.
Svjatoslav Hordyns’kyj: Ukrains’ka ikona. Na tli universalizmu vizantijs’kogo stylju; vidbytka z vydannja: Zbirnyk Prac‘ Juvilejnogo Kongresu Tysjačolittja Chrystyjanstva v Ukraini, 988-1988, München 1990.
John-Paul Himka: Last judgment iconography in the Carpathians, Toronto 2014.
Claus Bernet: Ikonen des Weltgerichts, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 37).
Bei diesem Beispiel erreichen die Kästchen eine Himmelspforte, deren beide Flügeltüren weit offen stehen. Innen ist lediglich das blaue Firmament angezeigt, das sich auch weiter rechts findet, wo Engel die Gestirne aufziehen (hier den Mond). Beide Flügeltüren sind nicht weiter verziert. Das Detail belegt, dass einfachste, stilisierte Himmelspforten keine Erscheinung allein der westlichen Maria Immacuata-Darstellungen oder der Glasmalerei sind, sondern sich, wenngleich seltener, auf Ikonen finden lassen. Sie verfolgen die Traditionslinie der engen, schmalen Pforte und dass das Neue Jerusalem lediglich eine Hütte bei den Menschen ist. Das Kunstwerk wird auf die Zeit um 1550 datiert, als sich diese Ikone in dem slowakischen Dorf Ruska Bystra unmittelbar an der Grenze zur Ukraine befand. Später gelangte sie in das Ukrainische Kulturmuseum von Svidnik.
Diese Ikone soll in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im heute ukrainischen Distrikt Trushevychi an der polnischen Grenze entstanden sein. Später kam das Objekt aus einer russisch-orthodoxen Kirche in das Nationalmuseum Lwiw (Lemberg). Auf dieser Ikone findet man an der linken Seite ein Band mit einem Motiv, dass mehrfach wiederholt wird: In einem Rundbogen, der hier die Hölle oder das Fegefeuer darstellt, ringt ein Mensch mit einem Dämon. Unterstützt wird der Mensch von der Engelsfigur vor dem Rundbogen. Zweiundzwanzig solche Rundbögen sind hier übereinandergesetzt, in denen die Menschen wie in einem Fahrstuhl nach oben gelangen. Hier ist das Ende der Reise in einer ungewöhnlichen, sonst kaum einmal vorzufindenden Art dargestellt: Am oberen Abschluss findet sich nicht eine, sondern zwei identische Himmelspforten, die offen zu stehen scheinen. Hinter den parallelen Pforten findet sich nicht, wie üblich, eine Darstellung von Arkaden oder das ewige Abendmahl, sondern der blaue Planet, obwohl nach der Johannesoffenbarung die alte durch eine neue Schöpfung ersetzt werden soll.
Wojciech Kurpik: Ikona Sadu Ostatecznego z Muzeum Ziemi Przemyskiej, in: Rocznik Przemyski, 11, 1967, S. 229-241.
Марта ФЕДАК: АСТРОНОМІЧНІ МОТИВИ В УКРАЇНСЬКОМУ ІКОНОПИСІ, in: Українське небо. Студії над історією астрономії в Україні, Підстригача 2014, S. 211-225.
Radelychi ist ein kleines Dorf in der ukrainischen Lemberg. In der Mitte des Dorfes befindet sich die historische Holzkirche des Heiligen Kreuzes mit einer 207 x 149 Zentimeter großen Weltgerichtsikone aus dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts (heute im Nationalmuseum von Lemberg). Das Himmlische Jerusalem erscheint auf dieser Ikone oben links auf einer Größe von 35 x 35 Zentimetern. Die rechteckigen Kästchen haben ziehen sich am linke Rand über zwei Meter nach unten. In ihnen werden auch hier gerettete Selen von Engeln wie in einem Fahrstuhl aus der Hölle bzw. dem Fegefeuer nach oben in die rettende Stadt gebracht. Von der ist allerdings noch nicht viel zu sehen. Vor einer beigen Wand haben sich Engel und Heilige versammelt. Im Hintergrund ist über der Mauerkante etwas von der Architektur der dahinter liegenden Stadt angedeutet. Besonders prachtvolle Gebäude sind es nicht, sondern links und rechts lediglich Dachzonen zweier Wohnbauten. Zwischen den Bauten befindet sich kein drittes Gebäude, sondern eine überdimensionierte Zinne der Stadtmauer. Für den heutigen Betrachter mögen diese Steinbauten nichts Besonders darstellen – die damaligen Gläubigen lebten auf dem Land jedoch meist in einfachen Holz- und Lehmhütten und betrachteten solche Ikonen mit anderen Augen.
Марта ФЕДАК: АСТРОНОМІЧНІ МОТИВИ В УКРАЇНСЬКОМУ ІКОНОПИСІ, in: Українське небо. Студії над історією астрономії в Україні, Підстригача 2014, S. 211-225.
Claus Bernet: Ikonen des Weltgerichts, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 37).
Diese Ikone stammt wieder aus dem Ukrainischen Nationalmuseum in Lemberg. Fachleute datieren sie auf das 16. Jahrhundert. Entstanden sein soll sie in einem orthodoxen Kloster oder einer Kirche in Stanylia, etwa 50 Kilometer südlich von Lemberg. Ihr Erhaltungszustand ist bedenklich; links sieht man eine Bruchstelle der insgesamt drei Bretter, rechts blättert an verschiedenen Stellen Temperafarbe ab. Es wird eine ähnliche Gestaltung wie auf der Ikone aus Ruska Bystra (um 1550) geboten: Auch hier erreichen die Kästchen eine Himmelspforte, deren beide Flügeltüren weit offen stehen. Innen ist lediglich das blaue Firmament angezeigt, das sich auch weiter rechts findet, wo Engel die Gestirne aufziehen. Auch die beiden roten Flügeltüren sind nicht weiter verziert, die Sterne, die auf der älteren Vorlage um die Pforte gesetzt sind, wurden hier weggelassen.
Drohobytsch ist eine ukrainische Stadt an der Oblast Lemberg südlich der gleichnamigen Bezirkshauptstadt. Dort wurde im Jahr 1685 eine 211 x 132 Zentimeter große Ikone geschaffen, die als Beispiel einer Synthese zwischen byzantinischer Tradition und westlichem Einflüsse gilt. Heute befindet sich diese Arbeit im Nationalmuseum von Lemberg (Inventarnummer 2512/I-1978). Das Himmlische Jerusalem ist auf der Ikone oben links zu finden, auf dem Ausschnitt der Größe 80 x 55 Zentimeter. Man sieht eine hohe Mauer mit einem Rundbogentor, die dann nach hinten zwei Mal im stumpfen Winkel wegbricht. Der einzige Mauerschmuck der ansonsten kahlen Wand sind schwarz gefüllte Kreise. Die niedrige Dachlandschaft im Stadtinneren ist vielgestaltig und mehrfarbig. Die Stadt ist im Inneren noch ohne Bewohner, Engel oder das Christuslamm und erinnert an spätantike Mosaike aus Rom, wie etwa an eine Jerusalemsdarstellung aus Santa Maria Maggiore. Vor dem noch geschlossenen Stadttor haben sich bereits einige Heilige eingefunden, weitere kommen links wie in einem Fahrstuhl von unten nach.
Oleh Sydor: Ikona Strashnoho Sudo z Vil’shanytsi, in: Litopys Natsional’noho muzeiu u L’vovi, 7, 2, 2001, S. 79-89.
John-Paul Himka, Liliya Berezhnaya: The world to come, Cambridge 2014.
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