Der Künstler Bernhard Kraus (1867-1935), gebürtig aus Offenbach, war am Ende des Kaiserreichs vor allem als traditioneller historistischer Glasmaler gefragt. Als Katholik aus dem Bistum Mainz arbeitete er überwiegend für römisch-katholische Kirchen und Kapellen seines Bistums. Im Gegensatz zu anderen seiner Kollegen, wie Friedrich Stummel (1850-1919), Adolf Quensen (1851-1911) oder Karl Mohrmann (1857-1927) ist über Kraus ansonsten kaum etwas bekannt. Wie man jedoch feststellen kann, hat er sich anscheinend auf Himmelspforten spezialisiert, neben St. Pankratius in Buldern (1906), St. Kilian in Iserlohn-Letmathe (1917) oder Ss. Fabian und Sebastian in Osterwick (1922) auch in der Kirche St. Ludger in der Stadt Selm (Münsterland). Im Reigen dieser Kirchen war es sicherlich sein bedeutendster Auftrag. Kraus gestaltete in Selm am nördlichen Rand des Ruhrgebiets 1908 in dieser Kirche zahlreiche Fenster aus mattem Antikglas, Blei und Schwarzlot im Rahmen einer Darstellung der Lauretanischen Litanei.
Dasjenige mit der Himmelspforte befindet sich auf dem ersten Seitenschifffenster links vom Altar neben einem Seiteneingang, was möglicherweise den Ausschlag dafür gab, hier die Pforte darzustellen. Sie ist zwar an den oberen Abschluss des Fensters gesetzt, aber Dank der klaren und großen Ausführung ist das Motiv auch von größerer Entfernung aus für Besucher eindeutig zu erkennen. Die Flügel der Pforte stehen offen, sichtbar sind selbst die Scharniere auf den leicht gewölbten Innenseiten der Flügeltüren. Der Bau ist oben mit Krabben besetzt, aber ansonsten nicht im gotischen Stil gehalten; die rückwärtige Wand soll aus Mauersteinen bestehen. Darunter steht geschrieben: „Pforte des Himmels“, weiter unten beginnen auf zwei Bahnen Ornamentierungen, die an die Edelsteine erinnern. Ausdrücklich hingewiesen sei auf das filigrane Paisley-Muster der orangenfarbenen Türfüllung: ein in technischer Hinsicht Meisterwerk der handwerklichen Glaskunst.
Dirk Nothoff, Hans-Walter Stork: Selm. St. Ludger, Friedenskirche: St. Fabian und Sebastian, Lindenberg 1998.
100 Jahre Sankt Ludger Selm, 1908-2008. Erinnern – feiern – weitergehen, Selm (2008).