Wie ärmlich oder bescheiden es in künstlerischer Hinsicht im Gegensatz zu Italien oder Frankreich im Deutschen Reich zuging, belegen die Illustrationen zu der Schrift „De Civitate Dei“. Im deutschsprachigen Raum wurde eine Abbildung populär, die erstmals in einer Ausgabe von „De Civitate Dei“, 1489/90 bei Johann (von) Amerbach (um 1444-1513) in Basel erschienen, zu finden ist. In Basel hatte kurz zuvor ein Kirchenkonzil stattgefunden, was den Humanismus und den Büchermarkt in der Stadt beflügelte, so dass auch etwas teurere, kolorierte Ausgaben entstanden.
In dieser Ausgabe ist auf dem ersten Blatt Augustinus in der oberen Bildhälfte an seinem Schreibpult zu sehen. Darunter wird es interessant: Das sündige Babel, rechts im Bild, und das Himmlische Jerusalem, links, sind einander gegenübergestellt und durch lateinische Schriftbänder gekennzeichnet. Auf den Türmen versucht ein Teufel einen Engel durch eine Fratze zu erschrecken, während ein anderer Teufel gleich zur Gewalt greift und einen Stein in Richtung Gottesstadt schleudert. Eigenartig, dass die Babelsbewohner einen fröhlichen Eindruck machen, während die Gesichter der Bewohner der Gottesstadt ernst, ja finster anmuten. Welche Bewohner am Ende den Sieg davontragen werden, bleibt in diesem Kampf offen.
Von dieser Ausgabe existiert eine etwas veränderte Komposition aus Venedig, mit einem Kommentar von Thomas Waleys und Nicolaus Trivet (Kupferstichkabinett Berlin, Sammlung GRIS 963 mtl). Sie erschien 1489, die Illustration befindet sich dort auf fol. a1v. Dadurch, dass die beidseitigen Schriftbänder fehlen und sich die Mittellinie ungebrochen durch das Bild zieht, ist der obere Bereich klar vom unteren getrennt. Die Architektur hat sich völlig verändert: Die Mauern fehlen, die Bauten sind höher und blockartiger – wir haben eindeutig italienische Einflüsse der Frührenaissance vorliegen. Auch die Figuren sind geschmeidiger, einfach gekonnter, selbst die Wegführung und die Bepflanzung überzeugen. Zeigt die deutsche Fassung Augustinus auf einer gotischen Bank, so sitzt er bei der italienischen Variante auf einem Renaissancethron. Babel ist bei der älteren Fassung eine spätmittelalterliche mitteleuropäische Stadt, bei der späteren Fassung ein Gefängnis (man beachte das Gitter), womit natürlich auf die babylonische Gefangenschaft der Kirche und die Vorstellung der Hölle als Stratford angespielt wird. Das Himmlische Jerusalem ist im Original eine mitteleuropäische Stadt, bei der Kopie eine Kirche im Renaissancestil, ähnlich Santa Maria dei Miracoli in Venedig.
Claus Bernet: Klassiker des Himmlischen Jerusalem, Norderstedt 2012 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 1).