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20. und 21. Jh., Osterkerzen, Collage © Claus Bernet

Jerusalemskerzen (20. und 21. Jh.)

Sehr alt sind wohl Jerusalemskerzen, die traditionell in der Adventszeit erstmals angezündet wurden und dann über das ganze Jahr in Benutzung waren. Im Mittelalter und lange danach waren solche Kerzen teuer und kostbar, nur wohlhabende Kirchengemeinden und Klöster konnten sie sich leisten. Dort waren Kerzen besonders wichtig, da mit ihnen nach Einbruch der Dunkelheit die genaue Zeit für die Stundengebete gemessen wurde. Das benötigte Licht war selbstverständlich wichtiger als ein lange andauernder Kunstgenuss, falls diese Kerzen überhaupt künstlerisch gestaltet waren. Einmal abgebrannt ist das Kunstwerk für immer verloren, in Luft und Ruß aufgelöst. Aus dem Mittelalter, der Renaissance oder dem Barock ist keine mit dem Himmlischen Jerusalem ornamentierte Kerze bekannt, auch nicht auf Abbildungen oder in Entwürfen. Heute hat sich durch die veränderten Herstellungsmöglichkeiten und die ausgebreitete Fotografie die Situation geändert, so dass in Zukunft mehr dieser Jerusalems-Kerzen dokumentiert bleiben.
Bei den erhaltenen Arbeiten ist der Künstler oder die Künstlerin namentlich nicht immer bekannt. Ich kenne keine einzige Osterkerze mit dem Jerusalemmotiv, die signiert worden wäre. Solches wäre für diese Kunstwerke untypisch, die fast immer in Serie gefertigt wurden und die heute auch eher in Privathaushalten als in Museen zu finden sind.
Durch die Rundung der Kerze ist es nicht leicht, die quadratische Stadt mit all ihren Elementen (Lebensfluss, Engel, Lebensbaum, Lamm Gottes, Bauten wie Wohnhäuser der Einwohner und Einwohnerinnen etc.) zur Darstellung zu bringen. Um so mehr freut es mich, hier einige seltene, aber doch schöne und anrührende Kerzen dokumentieren zu können.

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Eine der ältesten erhaltenen Kerzen befindet sich in der Kunstsammlung der Burg Bodenstein am Rande des Harzes in Thüringen. Sie hat ihren Platz in einer Vitrine im Alten Speisesaal „Georg Ernst Levin“, eines längst verstorbenen Reichsgrafen, der mit diesem Kunstgegenstand in keiner Verbindung steht. Die moderne goldbemalte Kerze muss kurz nach der friedlichen Revolution, um 1995, entstanden sein. Das Lamm Gottes ist das Zentrum der Stadt, die roten Tore sind an die Unterseite gesetzt, und der blaue Lebensfluss strömt nach unten, um die alte Schöpfung neu zu befruchten. Nach oben ist der Kerzenschaft golden gehalten, Strahlen gehen vom Haupt des Lammes aus und strukturieren den oberen Bereich.

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Dieses Beispiel wurde 2007 in der römisch-katholischen Gemeinde HH. Monulfus und Gondulfus in De Heeg, einem Stadtteil von Maastricht, aufgestellt. Es dominieren die Farben Weiß und Gold. Im Zentrum befindet sich das Lamm Gottes, aus dem rotes Blut nach unten fließt. Es ändert die Farbe zu einem Blauton nach Verlassen der Stadt, wobei es noch das Omega-Symbol durchströmt. Das Lamm ist von den goldenen Toren der Stadt und einer niedrigen Mauer polygonal umgeben. Häuser oder andere Bauten sind nicht zu sehen, die silbernen Rechtecke über dem Lamm sind keine Bauten, sondern die Siegesfahne. Zwei der Tore sind auf der Schauseite unten zu erkennen; zwischen ihnen strömt der Lebensfluss nach unten und befruchtet die Schöpfung. Diese ist im unteren Teil mit einer Dornenkrone symbolisiert, die sich um die gesamte Kerze zieht.

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In dem Dominikanerinnenkloster Maria Zuflucht bei Weesen im Kanton St. Gallen wird das mittelalterliche Handwerk der Kerzenherstellung noch gepflegt; die dortigen Nonnen haben eine eigene Werkstatt und einen Verkauf. Diese Kerze ist eine „religiöse Motivkerze“, welche im Jahr 2009 von Schwester Luciana-Benedicta Kang gestaltet wurde. Die Nonne wurde 1959 in Korea geboren und trat später in der Schweiz in den Dominikanerorden ein. Die wesentlichen Elemente dieser vierzig Zentimeter hohen und sieben Zentimeter breiten Arbeit sind in einem hellen Blau gehalten. Es sind unten die Tore der Stadt. Die Ecke des Quadrats ist zum Betrachter hin gedreht, so dass man zwei symmetrische Seiten der Stadt mit jeweils drei Toren in Form von vergoldeten Rundbögen sehen kann. Sie stehen offen, man sieht die gleiche weiße Farbe, aus der die gesamte Kerze besteht. Darüber ist, wiederum in Blau, das stehende Lamm Gottes gesetzt. Es ist in einen schwarzen Tondo eingefügt und strahlt aus diesem golden nach außen. Die Stadt und das Lamm sind wiederum von einem gold-blauen Band umschlossen, welches vegetabil beide Elemente umschließt. Rechts unten hat die Künstlerin noch das Symbol Alpha und Omega eingesetzt, was auf vielen Osterkerzen zu finden ist.

Diese Kerze aus weißem Wachs ist fast über den gesamten Schaft mit Farbe und Motiven überzogen. In der oberen Hälfte dominiert ein silbernes lateinisches Kreuz, in welchem sich das Licht bricht. Links davon ist der griechische Buchstabe Alpha, rechts davon Omega beigegeben. Umgeben ist dieser Bereich von tiefblauer Farbe, die am oberen und unteren Rand in eine hellere Tönung übergeht. Unter dem Kreuz breitet sich das Himmlische Jerusalem um die Kerze herum aus. In goldener, oranger und weißer Farbe fügen sich Bauten aneinander, die meist eine Kuppel tragen. Darunter zieht sich die Stadtmauer um die Kerze. Auf dieser finden sich an vier Stellen jeweils drei Tore zu einer Gruppe zusammen gesetzt. Es sind einfache Rundbögen, die vergoldet sind. Darunter verbindet ein ebenfalls vergoldetes Band, in dem auch Silber eingeflochten ist, die Tore. Bei dem Kunstwerk handelt es sich um eine Prachtkerze, die Renate Ivan 2010 in Wien anfertigte. Anlass und Anregung dazu gab ein ähnlich gestaltetes Fensterbild der Künstlerin von 2007, welches temporär in dem Seelsorgezentrum St. Katharina von Siena ausgestellt war.

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Diese Osterkerze von 2011 befand sich einst in der römisch-katholischen Kirche Maria, Königin des Friedens, im nordschwäbischen Gersthofen. Bei der handgearbeiteten Kerze handelte es sich um eine Gemeinschaftsarbeit der Firma Kerzen-Wagmann aus Gablingen im Landkreis Augsburg. Wie fast immer findet man auch hier die Buchstaben Alpha und Omega. Dazwischen ist ein Kreuz gesetzt, in welches die Jahresziffern für 2011 eingefügt sind. Am Rande deuten Keile auf die Dornenkrone und Marter vor dem Tod und der Auferstehung Christi. Alle diese Details sind aus rotem Wachs auf dem weißen Schaft der Kerze herausgearbeitet. Darunter findet man das eigentliche Himmlische Jerusalem, in Form und Farbe an die 1970er Jahre angelehnt. In einem Tondo steht ein weißes Lamm, welches es bis an den Rand ausfüllt, nur an einigen Stellen ist der tiefrote Hintergrund zu sehen. War oben rotes Wachs auf weißen Grund gesetzt, so ist es bei dem Lamm umgekehrt. An vier Seiten setzen kreuzförmig die Tore der Stadt an. Es sind rote und orange Rechtecke, in die eine annähernd abstrakte Figur gesetzt ist: ein Engel oder Apostel. Diese stilisierten Figuren haben wechselweise eine weiße und eine goldene Farbe. Auf diesen Rechtecken sind oben vergoldete Bekrönungen angebracht, nämlich Dreiecks- und Segmentgiebel.

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Eine Kerze für den römisch-katholischen Pfarrverband Schliersee (Oberbayern) zeigt in der Mitte der heiligen Stadt die Apostel, während sie Eucharistie feiern. Auffällig ist, dass sie keine Gesichter zeigen, und auch nicht an Attributen erkannt werden können. Unter diesen Heiligen sind die Tore um den Schaft der Kerze herum aneinander gereiht. Es sind jeweils rechteckige Blöcke, die über Streben miteinander verbunden sind. Allen Blöcken wurde ein Rundbogentor eingesetzt. Diese Tore haben eine dunkelgrüne Farbe, während die eigentliche Mauerfläche in einem glänzenden Silberton gehalten ist. Ebenfalls in Silber ist ein kleiner Türknauf oder ein Schloss, was markiert, dass die Tore noch geschlossen sind. Vergoldet sind die Rahmen der Tore. Jedes Tor besitzt eine niedrige Kuppel in einem rötlichen oder orangen Farbton. Es ist eine Arbeit der Pfarrheimbeauftragten Marietta Stadler, die sich 2011 spontan bereit erklärt hatte, mehrere Kerzen für den Pfarrverband herzustellen. Daher ist hier oben die Jahreszahl 2011 zu finden, unten die Buchstaben „A“ und „O“ für Alpha und Omega.

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Ab Juli 2012 wurde eine Jerusalem-Kerze mit der zukünftigen Jahreslosung für 2013 „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (Hebräerbrief Kap. 13, Vers 14) über den Onlinehandel vertrieben. Das Motiv gestaltete die Religionspädagogin und Künstlerin Reinhilde Rieger aus Bad Orb. Von Rieger gibt es auch weitere Kerzen, dann vor allem Zeichnungen und auch Ikonen. Bei dieser Kerze wurde ein quadratisches Bild auf den Schaft der Kerze gesetzt, neben dem rechts die Jahreslosung geschrieben ist. Dort fällt sogleich ein gewaltiger heller Lichtkreis ins Auge, der konzentrisch ausstrahlt und am Rande zu einem Rotton wechselt. Der Kreis steht über einem Rundbogentor, zu dem der Weg im Vordergrund führt. Das Tor steht offen, Teile der Bebauung sieht man sowohl an den Seiten als auch im Blick durch das Tor in die Stadt. Es sind weiße Blöcke, in Pastelltönen wurden darauf weitere Tore und Fensteröffnungen nuanciert. Auf dem weichen Wachs lassen sich die Details nicht so scharf erkennen wie auf einer Kunstpostkarte, die mit dem gleichen Motiv damals vertrieben wurde.

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Das Kloster Karmel St. Therese betreibt in Kirchzarten im Schwarzwald eine handwerkliche Kerzenmanufaktur. Ende 2014 entstand dort eine Osterkerze mit dem Titel „Neues Jerusalem“, welche von Schwester Therese-Evodia aus dem Orden der Karmeliterinnen ausgeführt wurde. Es handelte sich um einen Auftrag von Gabriel M. Maiwald aus Hechingen, einem Mathematiker, Dichter und Priester. Die Frontseite der Osterkerze, die für das Jahr 2015 gedacht war, zeigt mittig das weiße Lamm Gottes vor gelbem Hintergrund. In seiner Nähe findet man einen vergoldeten Nagel, an anderen Stellen noch weitere. Dabei handelt es sich um Einstichstellen für Weihrauch, der in die Kerze gelegt werden kann und mit dem Nagel verschlossen wird. Umkreist ist das Lamm von zwölf zinnenbekrönten Toren in unterschiedlichen Rottönen. Sie sind eng aneinander gesetzt, so dass kein Platz bleibt für Mauern. Ebenso wurde auf die Wiedergabe von Perlen und Edelsteinen verzichtet, auch die Fläche in der Stadt blieb ungestaltet (bis auf das Lamm) und wurde mit kräftiger gelber Farbe ausgefüllt. In eines der Tore wurde unten der griechische Buchstabe für Alpha, in ein anderes der Buchstabe Omega eingesetzt. Aufgrund des schmalen Durchmessers der Kerze kann man stets nur einen Teil der Tore, nicht alle zwölf auf einmal, betrachten. Aus dem niedrigsten Tor unten fließt der Lebensfluss dem Betrachter entgegen. Dort wurde, aufgrund der blauen Farbe nur schwer zu erkennen, das Jahr eingesetzt, für das diese Kerze gemacht wurde.

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2016 stand in der römisch-katholischen Stiftskirche St. Peter und Johannes der Täufer in Berchtesgaden eine handgefertigte Osterkerze (links), ein ähnliches Exemplar befand sich in der Bürgersaalkirche in München. Weitere dieser Kerzen konnte man in den umliegenden Kirchen und Kapellen von Berchtesgaden finden, wie in Maria am Berg, in Au, in Marktschellenberg, in Maria Gern, in Ettenberg, in der Hilgerkapelle, der Felicitas-, Bürgerheim- und Krankenhauskapelle. Zwischen dem Alpha- und Omegasymbol wurde das Neue Jerusalem eingefügt. Es besteht aus einem Kreuz, in dessen Mitte das Lamm Gottes mit der Siegesfahne gesetzt wurde. An den vier Seitenarmen des Kreuzes sind auf vergoldetem Untergrund jeweils drei Tore mit rotfarbener Füllung eingearbeitet. Es sind einfache Rundbögen ohne weitere Verzierung. Das ganze ist mit einer runden versilberten Plakette hinterlegt. Seitlich sind noch fünf vergoldete Nägel zu sehen: Diese konnten herausgenommen werden, um in der Osternacht jeweils ein Weihrauchkorn einzufügen. Gleichzeitig erinnern sie an die Kreuzigung Christi. Dieser Kerzentyp ist eine Arbeit von Maria Hasenknopf. Die Künstlerin gestaltet seit 2006 Kerzen für die Stiftskirche, in Zusammenarbeit mit der Gemeindereferentin Gabriele Hartmann. Neun Jerusalemskerzen wurden 2016 und 2017 in dieser Art und Weise hergestellt. Unterschiede findet man in der Gestaltung des Bildmotivs in der Mitte. Neben dem Lamm gibt es auch Kerzen mit der Himmelskönigin Maria, die um den verstorbenen Jesus auf ihrem Schoss trauert (rechts).

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Zum Jahresbeginn 2019 schuf Margit Piephans eine Osterkerze für die evangelische Kirche in Felchbachtal bei Ettenstatt (Mittelfranken). Diese zeigt unten ein rotes Kreuz, von dem ein schmaler Pfad aufwärts führt. Er endet an einem goldenen Stadttor, welches offen zu sein scheint. Über ihm sieht man mehrere Bauten mit roten und goldenen Kuppeln. Die Stadt zieht sich um die gesamte Kerze, die rückseitig noch weitere Tore hat, jedoch nicht zwölf. Darüber ist ein Stern angebracht, unten steht links geschrieben „Nova Hierosolyma“ und rechts „Der Tod wird nicht mehr sein“. Der Stern wie auch die Stadtdarstellung stammen übrigens von einer vorangegangenen Kerze, bei der sich Piephans intensiv mit Bethlehem beschäftigt hatte. Margit Piephans aus Felchbachtal ist die Frau des dortigen evangelischen Pfarrers Joachim Piephans. Gewöhnlich sieht die Zusammenarbeit so aus, dass Margit Piephans das Motiv auswählt und die technische Ausführung leitet, während ihr Mann theologische Überlegungen mit einfließen lässt. Von jeder Kerze werden circa 20 Stück gefertigt, die dann zu Ostern an die Nachbargemeinden abgegeben werden. Das fotografierte Exemplar schenkte das Paar Piephans dankenswerterweise dem Verfasser für seine eigene Sammlung von Jerusalem-Kunstwerken.

Claus Bernet: Jerusalems-Leuchter, Jerusalems-Kerzen und Adventskränze, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 25).

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tags: Kerze, Osterkerze, Thüringen, Mittelfranken, Alpha und Omega, Dornenkrone, Nagel, Jahreslosung, Schwarzwald
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