Die Region um den nördlichen Schwarzwald, der sich im Mittelalter bis weit nach Pforzheim zog, wurde erst spät besiedelt. Man findet hier nur selten ältere Kunstwerke mit einer Darstellung des Himmlischen Jerusalem. Eine Ausnahme befindet sich in der Kirche St. Georg in Neuenbürg. Der Bau wird auch als Schlosskirche bezeichnet, da er auf halber Höhe eines Berges zu einer Burg liegt, zu der die Kirche früher gehörte. Sie war später Pfarrkirche und ist heute die älteste Kirche der Stadt. Bereits 1894 wurden erste Teile von umfangreichen gotischen Wandmalereien freigelegt, die unter anderem auch die Legenda Aurea zeigen. Von 1955 bis 1964 wurde die Kirche erstmals systematisch renoviert, wobei weitere Fresken aufgedeckt, restauriert und auch nachkoloriert wurden. An der Westwand fand man damals eine Darstellung des Weltgerichts aus der Zeit um 1325.
Über dem Triumphbogen zum Chor befindet sich übrigens noch eine zweite Darstellung des Weltgerichts aus der Zeit um 1460. Sie zeigt auf der Außenseite zur Gemeinde hin ebenfalls in der Mitte Christus, dann links auch Maria und Petrus, allerdings anscheinend ohne Himmelspforte. Da die Freilegungen jedoch noch nicht abgeschlossen sind, kann auch hier noch eine Pforte zum Vorschein kommen. Es ist ungewöhnlich, dass man im gleichen Raum das Weltgericht zwei Mal darstellte, zumal, wenn man an die Vielfalt möglicher Themen denkt. Eventuell hat es mit dem Umbruch von der Burgkapelle zur Pfarrkirche zu tun: Das (ältere) Weltgericht befand sich ja über der Empore gegenüber des Altars und war für die Gemeinde nicht sichtbar. Somit wurde dieses Weltgericht schon um 1460 unter Putz gelegt, während man die Thematik jedoch nun gut sichtbar für jeden Besucher auf dem Triumphbogen anbrachte.
Von der Pforte des älteren Freskos sind heute nur Umrisse erkennbar, so dass sich Vergleiche verbieten. Erkennbar ist die Konzeption eines schmalen, hohen Rundbogens, goldgelb gefasst, mit Petrus davor stehend. Mit seiner einen Hand schließt er die Pforte des Himmels auf, mit der anderen hält er einige Gerettete, um ihnen Mut zuzusprechen. Eine solche Geste ist menschlich, wurde aber im Mittelalter kaum einmal dargestellt, ich kenne sie nur vom Bühler Altar des Schongauer-Nachfolgers. Die Geretteten bilden ein kleines Grüppchen von Ständevertretern, darunter sind auch ein Papst, ein Kardinal, ein Bischof, ein Mönch und eine Frau, möglicherweise eine Nonne. Von hoher Qualität sind die Figuren, deren geschwungene Haltung und übermäßige Schlankheit der gotischen Malweise im 14. Jahrhundert entsprach. Ungewöhnlich ist die Illusionsmalerei der Stoffe unterhalb der biblischen Szenen, die man auf keinem vergleichbaren Weltgericht findet.
Stadt Neuenbürg (Hrsg.): Heimatbuch Neuenbürg, Neuenbürg 1980.
Tilmann Marstaller, Elke Osterloh: Schloss Neuenbürg, Schwetzingen (2001).