Unter allen Jerusalemsdarstellungen ist diese eine besonders helle und lichterfüllte, vergleichbar nur noch mit MS 1191 von Christophorus Orimina (um 1360): Die Gelbtönung, die das Gold der Stadt visualisiert, mit den dazwischen liegenden blauen, roten und grünen Edelsteinen machen das Bild zu einem strahlenden Höhepunkt der Jerusalemsikonographie. Links, in rötlichem Gewand, wird der Seher Johannes von einem Engel vor die Stadt geführt, rechts unten sprudelt der Lebensfluss aus einem mittelalterlichen Abflussrohr. In zwei Eingängen stehen Heilige (Maria und Petrus), darüber, bereits in der Stadt, befinden sich weitere Heilige, in der Darstellung vom Byzantinismus beeinflusst. In ihrer Mitte, überwölbt von einem Giebel und mit einem Kreuznimbus versehen, erscheint im Halbprofil Christus. Zwei Türme an den Seiten rahmen die Stadtsilhouette und zwischen diesen kann man Bäume im Stadtinneren erahnen. In der Mitte scheint sich eine zweitürmige Kirche zu befinden, deren Tympanon die Christuserscheinung aufnimmt.
Die Abbildung ist einer Bibel der British Library entnommen (fol. 473r aus MS Add. 47672), die unter Graf Robert von Genf (1342-1394) angefertigt wurde. Robert von Genf wurde 1378 in Fondi von französischen und italienischen Kardinälen zum Papst Clemens VII. gewählt und war der Opponent von Papst Urban VI. (um 1318-1389). Da dieser Rom besetzt hielt, verlegte der neue Papst Clemens VII. seine Residenz in das südfranzösische Avignon. Um die eigene Herrschaft zu legitimieren, betätigte er sich vor allem als Mäzen. Im Laufe seiner Regentschaft entstanden prachtvolle Bauten und kostbare Miniaturen, wie diese italienisch-französische Bibelausgabe.
Cathleen Ann Fleck: Linking Jerusalem and Rome in the fourteenth century, in: Bianca Kühnel (Hrsg.): The real and ideal Jerusalem in Jewish, Christian and Islamic Art, Jerusalem 1998, S. 430-452.
Cathleen Ann Fleck: Papal politics of a Trecento Bible, Baltimore 1998.
Hana Sedinova: The precious stones of Heavenly Jerusalem in the medieval book illustration and their comparison with the wall incrustation in St. Wenceslas chapel, in: Artibus et Historiae, 21, 41, 2000, S. 31-47.
Cathleen Ann Fleck: When a Bible is not a Bible, in: Word and Image, 22, 3, 2006, S. 219-227.