Diese Ikonenmalerei wurde nicht auf eine Leinwand, sondern auf eine hölzerne Tür aufgetragen. Sie zeigt im oberen Drittel das Himmlische Jerusalem mit der Ummauerung vorne, die als Zackenfries seitlich und nach vorne weit in den Raum ausgreift. Dieser Zackenstil ist für das 16. Jahrhundert charakteristisch, vgl. dazu die Ikonentafel aus Nowgorod oder das Jüngste Gericht aus Jaroslawl. Dahinter sind zwölf Türme versammelt, mit roten oder blauen Dächern. Rot und blau stehen für Backsteinschindeln und Schiefer, sind aber auch die beiden Farben Jerusalems. Zwischen der Mauer vorne und den Türmen hinten sind die vierundzwanzig Ältesten hier wiedergegeben. Sie sind im Halbrund angeordnet, und der gesamte Aufbau ähnelt einem Auditorium einer Akademie oder Universität. Auch im 15. Jahrhundert gab es einmal eine solche Darstellung, von Giovanni di Paolo. Die dahinterliegende Idee ist, dass das Neue Jerusalem eine Lehrstätte sei, in der die gläubigen Schüler von Christus unterrichtet werden.
Neben dem Himmlischen Jerusalem zeigt die Ikone darunter noch das Paradies und ganz unten eine Darstellung des Mordes an Sacharja. Das Ikonenfeld hat insgesamt eine Größe von 202 x 88 Zentimetern und ist mit einem aufwendig gestalteten Blumenrahmen ornamentiert.
Es handelt sich bei dem Kunstwerk keinesfalls um eine gewöhnliche Haus- oder Kirchentür, sondern um den Flügel einer sogenannten „diakonischen Tür“, welche in orthodoxen Kirchen an der Nord- und Südseite den Zugang zum Altarbereich hinter der Ikonostase ermöglicht, den allein der (männliche) Priester und der Diakon betreten darf.
Dieses Kunstwerk befand sich ehemals in der russisch-orthodoxen Kathedrale der Verkündigung im nordwestrussischen Solwytschegodsk. Entstanden war es im Auftrag der einflussreichen und wohlhabenden Adelsfamilie Stroganow. Heute zählt die Tür zu den Sammlungen des dortigen Staatlichen Geschichts- und Kunstmuseums (Inventarnummer SM-348-z), in dem sie zwischen 1977 und 1978 von Igor Grabar und G. Cirul aufwendig restauriert wurde. Ihr Entstehungszeitraum dürfte um das Jahr 1575 liegen.
Paola Cortesi (Hrsg.): Icone Russe in Vaticano, Roma 1989.
Alfredo Tradigo: Ikonen. Meisterwerke der Ostkirche, Berlin 2005.
Leonid Uspenskij: La teologia dell’icona, Milano 2009 (2).
Claus Bernet: Pretiosen des Ostens: Ikonen, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 36).