Marcel Chirnoaga (1930-2008) wurde im rumänischen Buşteni-Prahova geboren. Er studierte Mathematik und Physik in Bukarest, beschäftigte sich dann aber autodidaktisch mit Kunst und wurde schnell einer der führenden Künstler seines Landes. Seit 1953 war er Mitglied in der Union der bildenden Künstler Rumäniens. 1992 entstand der Bilderzyklus „Die Apokalypse“ mit insgesamt siebzehn Arbeiten. Es sind Schwarzweiß-Zeichnungen in freier Ausführung, mit einem Bleistift aufgetragen und dann im Tiefdruck hergestellt. Dabei kommen die Abdrücke von einer Platte in der Weise zustande, dass in linien-, punkt- oder flächenartige Vertiefungen, die man auf einer blanken Metallfläche herstellt, Druckfarbe gefüllt wird, die ein aufgepresstes, in die Vertiefungen gezwungenes Papier aufnimmt.
Das letzte Bild dieses Apokalypsezyklus mit dem Titel „Das Himmlische Jerusalem“ ist 81,5 x 36 Zentimeter groß. Es gibt Reproduktionen in verschiedenen Größen. Das Bild wird von einer sich schlängelnden Mauer beherrscht, über der sich das Halbrund des Abschlusses der Radierungsawölbt. Darunter ist ein Himmelskörper dargestellt, obwohl es im Offenbarungstext heißt, die Stadt brauche weder Sonne noch Mond. Im Widerspruch zum Offenbarungstext, in dem die Mauer viereckig angelegt ist, ist sie hier wellenförmig-unstet. Sie ist tiefschwarz, und nichts ist von Edelsteinen oder himmlischem Glanz zu ahnen. Der abweisende Charakter der Mauer ohne Tore passt gut zu den verworfenen, verzweifelten Menschen im Vordergrund, die um Einlass in die rettende Stadt flehen.
Vorbilder zu dieser Arbeit war zum einen die chinesische Mauer, die hier als Stadtmauer erscheint. Zum anderen wurde Chirnoaga nach eigener Angabe von Hieronymus Boschs (um 1450-1516) im Jahr 1500 entstandenem Gemälde „Der Flug zum Himmel“ mit seinem berühmten Lichttunnel inspiriert, der eine Verbindung zwischen irdischer und himmlischer Sphäre malerisch darstellt.
Marcel Chirnoagă: Apocalipsa, 17 Reproduktionen zum Apokalypsezyklus (E. A. VI/VII), Mappe, Bukarest 1993.
Adriane Zirker: ‚Le Peintre-Graveur’ Marcel Chirnoagã: Die Offenbarung des Johannes in 17 Bildern, Köln 2001.