Die Apokalypse unter dem Behelfsnamen MS Yates Thompson 10 entstand in oder bei Paris etwa zwischen 1370 und 1390. Angeblich soll sie der gleiche Künstler geschaffen haben, von dem auch das Krönungsbuch für Charles V. von 1365 stammt. Wie bei den meisten Apokalypsehandschriften dieser Zeit liegen die näheren Umstände der Entstehung im Dunkeln. Jedenfalls taucht die Handschrift im 18. Jahrhundert im Besitz von Jean Philippe Eugène (1674-1732), Count de Merode, auf. Über Umwege gelangte das wertvolle Stück in die Hände des Sammlers Henry Yates Thompson (1838-1928), der die Schrift 1921 verkaufte, aber schon 1926 wieder rückkaufte. Seine Frau schließlich vermachte sie 1926 dem British Museum, von wo sie in die British Library kam und sich dort heute auch befindet.
Der Text ist in Französisch mit gotischen Buchstaben kunstvoll ausgeschmückt, die Illustrationen sind mit goldenen Girlanden in Blattform dekoriert. Bei der Seite mit der Darstellung des Neuen Jerusalem auf fol. 36 steht links Johannes in blauem Gewand. Ihm gegenüber sind, durch eine runde Rahmung voneinander abgegrenzt, zwei unterschiedliche Visionen dargestellt: Einmal sieht er Christus auf dem Herrscherthron, und einmal das Neue Jerusalem, eine Kombination, wie sie, übrigens in einer ganz ähnlichen Farbkombination, bei der Trinity-Apokalypse (fol. 11r) zu finden ist. Das runde Jerusalem ist freilich eine Repräsentation des späten 14. Jahrhunderts, beeinflusst durch die zahlreichen Editionen von Guillaume de Digullevilles Pilgerroman, aber auch durch Illustrationen wie in MS. Bodl. 401.
Kreisrunde Darstellungen der Gottesstadt, die hier fast eine zweite Mandorla bildet, findet man in Handschriften aber selten. Die kreisrunde Stadt macht hier durch sieben hohe Türme, Schießscharten und ein Fallgitter am Haupttor einen eher abweisenden Eindruck. Vor dem Haupttor ist der einzige Wächterengel der Stadt zu sehen, die ansonsten ganz von einem Kirchengebäude eingenommen ist.
Richard Kenneth Emmerson, Suzanne Lewis: Census and bibliography of medieval manuscripts containing Apocalypse illustrations, ca. 800-1500, in: Studies in Ancient and Medieval History, Thought and Religion, 41, 1985, S. 367-409.
Nigel Moran: French interpretations of English Apocalpyses, in: John Mitchell, Matthew Moran (Hrsg.): England and the continent in the Middle Ages, Stamford 2000, S. 137-156.
Apocalypsis Yates Thompson (MS 10), London 2008.