Anonyme Illustrationen aus John Bunyan: Pilgrim‘s Progress (20. Jh.)

Auch im 20. Jahrhundert gibt es eine ganze Zahl von Illustrationen zu „Pilgrim’s Progress“, deren Urheber wir nicht namentlich kennen. In größer Zahl als in den Jahrhunderten zuvor sind es jetzt farbige Cover-Abbildungen, zunehmend auch Schutzumschläge. Mit den anonymen Kupferstichen der Jahrhunderte zuvor können sie in der Qualität nicht konkurrieren; die Stadt ist gelegentlich nur durch ein paar vertikale Linien, überwiegend goldgelber Einfärbung, markiert. Es sind Gebrauchsgrafiken mit dem klaren Ziel der Verkaufssteigerung.
Eine Besonderheit: Nicht jede Stadt auf einem Cover von „Pilgrim‘s Progress“ zeigt das Himmlische Jerusalem. Eine steigende Zahl von Editionen bringt jetzt auch eine Stadt, über die gesagt wird „This our city will be burned“ – diese Illustrationen sind hier natürlich nicht aufgenommen.

Um 1905 erschien im Londoner Verlag „Review of Reviews“ eine Neuausgabe von „The Pilgrim’s Progress“. Es ist eine speziell gekürzte Ausgabe für Jugendliche. Sie wurde mit 58 schwarzweißen Zeichnungen eines unbekannten Künstlers oder einer Künstlerin ausgestattet. Diejenigen Zeichnungen auf den Seiten 57 und 59 zeigen im Hintergrund eine punktierte Silhouette des Neuen Jerusalem, zunächst in Nah-, später in Fernsicht. Die Gewänder der Heiligen wie auch Details anderer Zeichnungen belegen einen Einfluss der Lebensreform, des Jugendstils, der Modereform – sie sind sicher nicht 1980, sondern eher 1920 entstanden.

 

Im Zuge der Kolonialisierung und Missionierung wurden von Engländern auch christliche Traktate und Schriften in seltene indigene Sprachen übersetzt. „Kristoni Akwantu“ erschien 1920 in London. Es ist eine Übersetzung von John Bunyans frommen Roman „Pilgrim’s Progress“ in die Twi-Sprache, welche wiederum zur Akan-Sprache zählt, die in ganz Ghana verbreitet war. Auf der Farbillustration zwischen den Seiten 48 und 49 wird wohl erstmals der Pilger als Schwarzer gezeigt, wie er vor einer eher europäisch anmutenden Himmelspforte steht. Diese ist im gotischen Stil gehalten, mehrere Säulen und ein spitzbogiger Zulauf deuten darauf. Das hölzerne Zweiflügeltor mit gewaltigen Ausmaßen scheint fest geschlossen.

 

Das „John Bunyan Museum and Library“ im englischen Bedford besitzt 14 lose Farbzeichnungen, die in den 1950er Jahren für den zweiten Teil einer chinesischen Ausgabe von Pilgrim’s Progress gedacht waren. Aus unbekanntem Grund wurde das Projekt nicht abgeschlossen. Eines der anonymen Blätter zeigt einige Chinesen, die vor dem Neuen Jerusalem stehen, welches sich im Hintergrund auf einem flachen Hügel als einfarbige, undifferenzierte asiatische Pagode abzeichnet. Diese ist von einem halbrunden Strahlenkranz umgeben.

 

Dieser Schutzumschlag gehört zur Hardcover-Ausgabe des Verlags Pickering & Inglis (Glasgow) aus dem Jahr 1955. Er enthält eine Ausgabe von „Pilgrim’s Progress“ mit „Erinnerungen“ des Pfarrers James Inglis aus dem 19. Jahrhundert. Auch in der Schriftart hält sich die Ausgabe an das 19. Jahrhundert, nicht allerdings bei der Grafik des Schutzumschlags: Der Pilger hat keine neogotische oder romantische Stadt vor sich, auch kein Schloss im Tudorstil. Im Gegenteil: Die Architektur ist aufgelöst zu einer fast abstrakten Stadtdarstellung. Sie thront auf einem ansonsten ungestaltet belassenen Zionsberg, der allein mit dem schmalen Pfad markiert ist.

 

Auch eine Übersetzung von John Bunyans Erfolgsromans in das Tamilische wurde vorgenommen. Diese Ausgabe erschien im Jahr 1956 in Madras durch die „Christian Literature Society“, die sich dem Ziel verschrieben hatte, christliche Weltliteratur auch in nichteuropäische Sprachen zu übersetzen. Bereits auf der schwarzweißen Zeichnung des Covers schreitet ein Pilger unverdrossen einen gewundenen Pfad in Richtung Gipfel eines Berges, auf dem die Stadt Gottes als europäische Burg des Mittelalters bzw. der Frühen Neuzeit thront. Ein Haupt- und zwei Nebentürme wurden mit wenigen Strichen lediglich angedeutet. Das Ganze ist von einem Strahlenkranz umgeben.

 

Im Januar 1957 erschien erstmals eine Taschenbuchausgabe von John Bunyans Pilgerreise, die die Washington Square Press in New York herausbrachte. Schon 1963 ging die fünfte Auflage dieses ewigen Bestsellers in den Druck. Für das Cover hatte man sich etwas Besonderes einfallen lassen: Ein unbekannter Grafiker gestaltete eine Zeichnung, die an spätmittelalterliche Holzschnitte anlehnte: Ein einsamer Pilger bahnt sich seinen Weg, in Richtung der Himmelsstadt, die rechts oben in einer Gloriole zwischen den Wolken erscheint.

 

Die Organisation „Christian Book Room“ in Hongkong brachte um 1960 dort eine chinesische Übersetzung von John Bunyans Pilgrim’s Progress heraus. Sie wurde mit zahlreichen, schnell angefertigten Abbildungen von unbekannter Hand ausgestattet und bekam den Titel „Pictorial Pilgrim’s Progress (Vol. I)“. Rücksicht genommen wurde auf ortsspezifische Besonderheiten. So ist hier einmal die Himmelspforte am linken Bildrand als asiatische Pagode wiedergegeben, leider nur zur Hälfte zu sehen. Um sie herum feiern Engel das Jüngste Gericht und das Erscheinen Christi (links). Eine weitere Szene zeigt den Pilger an der Himmelspforte, erneut in Form einer Pagode. Die zwei letzte Zeichnungen zeigen das Neue Jerusalem als sehr kleine Himmelspforte am Horizont, ohne angrenzende Bebauung oder Ummauerung, einmal bekrönt mit einem lateinischen Kreuz. Ansonsten wurde auf typisches Jerusalem-Dekor, wie Perlen, Edelsteine, Lebensfluss oder Lebensbaum hier verzichtet.

 

Kamba ist eine Bantusprache aus der Ostprovinz Kenias. In dieser seltenen Sprache wurde in London um 1960 mit Hilfe der christlichen Organisation „Africa Inland Mission“ eine Ausgabe von John Bunyans frommen Roman herausgegeben. In der zweiten Auflage hat ein nicht näher bekannter Künstler (oder Künstlerin) auf Seite 4 eine Zeichnung beigesteuert, auf der oben links über den Bergen das Neue Jerusalem als Fernziel (ein Knauf auf dem Hügel) zu erahnen ist. Die Bedeutung der Stadt wird durch die Gesten der beiden Personen im Bildvordergrund unterstrichen. Es sind Kenianer mit landestypischer Bekleidung, was zeigt, dass die Illustratoren oder Herausgeber sorgfältig darauf geachtet haben, ihrem Lesepublikum vor Ort gerecht zu werden und nicht einfach europäische Vorbilder übertragen haben.

 

Die Gesellschaft „Sudan Interior Mission“ brachte 1960 die Übersetzung „Tafiyar mai Ibada“ heraus, die im nigerianischen Lagos gedruckt wurde. Zwischen den Seiten 64 und 65 befindet sich eine einfache, klar strukturierte Schwarzweiß-Zeichnung: Ein Engel stützt den gestrauchelten und erschöpften Pilger. Hinter diesem, entgegen seiner Blickrichtung, befindet sich auf der Anhöhe eines Tafelberges (des Zionsbergs) das Neue Jerusalem. Von der breiten, niedrigen Anlage sind zwei Schauseiten zu sehen, eine ist weiß, die andere schwarz. Diese hat in ihrer Mitte einen kleinen, weißen Zugang. Das Innere der Stadt ist dem Blick des Betrachters entzogen.

 

1961 erschien mit Hilfe des Präsidiums der Vereinigung der evangelischen Kirchen in Warschau auch eine polnische Übersetzung von Jozef Prower mit dem Titel „Wedrowka Pielgrzyma“. Auf Seite 58 befindet sich eine schwarzweiße Zeichnung, die möglicherweise ein polnischer Illustrator angefertigt hat. Ein junger Pilger klopft verzagt an eine alte, knorrige Tür, die Jahrhunderte alt zu sein scheint. Die Szene erinnert an zeitgenössische Märchenillustrationen und übt auf den Betrachter große suggestive Kraft aus. Ihr Titel lautet „Christian kommt an die enge Pforte“.

 

Eine der letzten handgemachten Illustrationen vor der Bildschwemme durch erst digitale Zeichenprogramme, dann die Künstliche Intelligenz (Kunst per Knopfdruck bzw. Wischen) ist diese Zeichnung von 1989. Sie zeigt den Pilger schwer beladen, wie seit dem späten 19. Jahrhundert. Fast glaubt man, einen Hirten mit Stab vor sich zu haben, doch bei genauerem Hinsehen werden aus den Schafen Felsen am Wegesrand, der geschwungen zum Neuen Jerusalem führt. Diesen Aufbau darf man für eine Ausgabe von „Pilgrim’s Progress“ schon als klassisch bezeichnen. Hier schraubt sich die Stadt als goldener Tempel nach oben – der Reiz der Illustration besteht in der Gegenüberstellung der Kostbarkeit dieses Baus zur Armut der Wanderers. Es handelt sich um eine Zeichnung von Al Bohl für eine USA-Ausgabe in Uhrichsville. Bohl war professioneller Zeichner, der über fünfzig Bücher und unzählige Zeitschriftencover illustriert hat. „Pilgrim’s Progress“ und die Bildtradition war ihm vertraut, denn er arbeitete auch als Pfarrer.

 

Eine neues Medium waren am Ende des 20. Jahrhunderts Hörbücher oder Audiobooks. Auch hier mussten Cover gestaltet werden. Eine der ersten Ausgaben zu „Pilgrim’s Progress“ brachte der Verlag Blackstone, ein erst 1987 in Oregon (USA) gegründeter Verlag, nach zehn Jahren 1997 auf den Markt. Man verließ sich auf Traditionelles: Der Pilger wird mit dem Rücken zum Betrachter gezeigt. Hinter ihm erscheint am Ende eines geschlungenen Pfades (des Lebenswegs) eine weiße Stadt mit goldenen Dächern. Das Besondere dieses Ortes zeigt sich einerseits durch goldene Strahlen aus dem Haupttor der Stadt, andererseits durch mehrere Engel, die über den roten Dächern fliegen. Bemerkenswert ist, dass hier einmal nicht die Stadt goldgelb gefärbt ist, sondern die Anhöhe unter ihr.

 

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