Die Hamilton-Bibel aus dem Berliner Kupferstichkabinett (MS 78 E 3) ist ein prominentes Kunstwerk des Hochmittelalters. Entstanden ist sie in der neapolitanischen Werkstatt des Malers Cristoforo Orimina, dessen Handschrift vor allem die Stadtdarstellung Jerusalems trägt. Es war ein Auftrag von Johanna von Anjou (1328-1382), die diesen Prachtband Pierre Roger von Beaufort (1329-1378) schenkte. Dieser ist als Papst Gregor XI. etwas bekannter, da er 1376 die päpstliche Kurie von Avignon nach Rom zurückverlegte.
Orimina kannte selbstverständlich die großen Werke, die am Hofe zuvor entstanden waren, nachweislich an erster Stelle die Erbachschen Tafeln (um 1332/34).
Die goldene Stadt erscheint auf fol. 464v rechts neben dem thronenden Weltenrichter, vor dem posaunende Engel die Toten wecken. Bis unmittelbar vor der Stadt toben die Kämpfe. Über ihr erscheint, neben der Hure Babylon, die Antistadt Babel mit ihrem charakteristischen babylonischen Rundturm. Der Turm schraubt sich sogar über den Bildrahmen hinaus – eine Anspielung auf die Maßlosigkeit dieser Stadt bzw. ihrer Bewohner. Bemerkenswerterweise ist Babel sogar etwas größer als das Himmlische Jerusalem und reichlich ornamentiert. Das Neue Jerusalem hat zwar ebenfalls geschmücktes Mauerwerk, nämlich Edelsteine, die jedoch wegen des monochronen Goldtones nicht gut zu erkennen sind. Zudem ist der urbane Charakter zurückgenommen, das Stadtinnere scheint aus einer einschiffigen Kirche mit Doppeltürmen zu bestehen. Eigenartig sind auch die zwei Tore links von der Stadt: Unten ist die Mauer deutlich herabgezogen, um darüber noch einen knienden Heiligen platzieren zu können. Über diesem erscheint, in einem ovalen Medaillon, ein Thron oder erneut ein offenes Tor, welches mit der Himmelsstadt über eine Brücke in Form eines schmalen Weges verbunden ist. Ihren Ruhm als Meisterwerk hat die Hamilton-Bibel sicherlich nicht aufgrund dieser wenig überzeugenden Jerusalemsdarstellung erhalten.
Weniger bekannt ist eine kleinere Darstellung des Himmlischen Jerusalem, die ebenfalls in dieser Bibel zu finden ist. Während die Weltgerichtsszene (fol. 464v) eine ganze Seite bedeckt, illustriert diese Miniatur (fol. 455v) lediglich den umgebenden Text. Nun ist die Stadt bevölkert, zahlreiche Engel, alle nach rechts hin ausgerichtet, halten auf den Türmen Wache. Da bereits der Hintergrund golden ist, wurde die Stadt weiß wie Marmor gehalten.
Thomas Ratzka: Die Illustrationen zur Apokalypse in der Hamilton-Bibel, Berlin 1991.
Laurence Rivière Ciavaldini: Jean Colombe entre Naples et la Savoie. À propos de l’Apocalypse des ducs de Savoie, in: Arte Cristiana, 88, 2000, S. 181-200, S. 259-268.