Höllenstrafen, aber auch die Belohnung, nämlich ein ewiges Leben im Neuen Jerusalem, waren den mittelalterlichen Menschen visuell omnipräsent. Man findet Weltgerichtsdarstellungen sowohl in spätmittelalterlichen Büchern wie auch als Wandfresken in Kirchen, Klöstern und sogar in Rathäusern. Der Aufbau war immer der gleiche: links das Neue Jerusalem, rechts die Hölle, darüber in der Mitte Christus als Richter, meist auf einem Regenbogen oder Thron sitzend. In der Darstellungsform konnten die Werke aber erheblich variieren. Das zeigt etwa ein Stundenbuch, welches seit 1809 die Königliche Bibliothek der Niederlande in Den Haag verwahrt.
In diesem Buch ist eine typische Gerichtsszene zu sehen: Ganz oben befindet sich Christus über dem Regenbogen, der allerdings nicht alle seine Farben zeigt, sondern eigentlich nur aus einem Doppelbogen zweier roter Linien besteht. Im unteren, irdischen Bereich ist das eigentliche Gericht dargestellt: rechts wandern Verdammte in einen Höllendrachen, der größer und eindrucksvoller als das Neue Jerusalem links erscheint. In dieses flüchten einige Gerettete, übrigens weniger als im Höllenrachen. Die Stadt ist hier ein gotischer Torbau, auf dem ganz oben einige Engel musizieren. Die blau-rot gekleidete Person im Torbogen ist Petrus, der die Ankommenden mit Handschlag begrüßt. Die Basis unter dieser Figur ist mit einem Ornament dekoriert, das bereits der Renaissance zuzurechnen ist.Die 12 x 7,5 Zentimeter große Miniatur befindet sich ganzseitig auf fol. 138v in einem Band, der heute unter der Signatur KB 76G 9 aufbewahrt wird. Er dürfte um 1490 im Herzogtum Brabant entstanden sein und wurde von einem der „Zwarte Ogen Meesters“, einem der Schwarzaugenmeister, ausgeführt.
Alexander Willem Byvanck: La miniature dans Les Pays-Bas Septentrionaux, Paris 1937.
C. Wybe de Kruyter: Some problems in identifying and locating the origins of a number of Dutch illuminated manuscripts of the last quarter of the 15th century, in: Quaerendo, 4, 1974, S. 143-155.
Klara H. Broekhuijsen: The Master of the Dark Eyes. Late medieval manuscript painting in Holland, Turnhout 2009.
Klara H. Broekhuijsen: Decoration programs in Books of Hours by the Masters of the Dark Eyes, in: Sandra Hindman, James H. Marrow (Hrsg.): Books of Hours reconsidered, Turnhout 2013, S. 353-364.