Carl Unger (1915-1995): „Himmlisches Jerusalem“ aus der Kirche Zur Heiligen Familie in Wien (1966-1968)
Carl Unger (1915-1995), einer der zentralen Künstler Österreichs in der Nachkriegszeit, fertigte Mitte der 1960er Jahre ein großes Mosaik an, für die Stirnwand der Kirche zur Heiligen Familie am Puchsbaumplatz im 10. Wiener Gemeindebezirk. In diesem Zusammenhang sind damals Vor- und Nachstudien zum Thema Himmlisches Jerusalem entstanden. Das wäre an sich nichts Besonderes, in diesem Falle haben sie sich jedoch erhalten.
Eine dieser Vorstudien ist eine schwarzweiße Radierung aus dem Jahr 1966. Sie ist lediglich 198 x 178 Millimeter groß und eine Variante der nachfolgenden Ölmalerei. Die Pretiose gehört heute zum Bestand der Wiener Albertina (DG1990/354). Den Künstler interessierte vor allem die Wirkung unterschiedlicher Pinselführung, von weichen, runden Formen hin zu spitzen, expressiveren Fassungen.
Das Ölgemälde „Himmlisches Jerusalem“ in der Größe 110 x 100 Zentimeter gehört ebenfalls in diesen Zusammenhang. Das Werk ist rechts unten signiert und datiert: „C. Unger 68“. Es entstand also 1968, als das Mosaik in der Kirche zur Heiligen Familie bereits fertiggestellt war. Lange war es Teil einer Privatsammlung, bis es der Auktionator Ressler-Kunst 2015 für 22.000 Euro anbot. Der Künstler schrieb zu dem Gemälde: „Es ist wie ein Kaleidoskop, ich schaue hindurch, und die Formen wie Farben werden für mich zu einer abstrakten Landschaft. Charakteristisch für den Blick durch das Kaleidoskop ist, dass sich durch eine winzige Drehbewegung des Betrachters alles wieder völlig verändern kann und sich trotz unveränderter Bestandteile neue Varianten des Farbspiels ergeben“. Im Vergleich zur Vorstudie zeigt sich, dass die breiten Streifen komplett übernommen wurden, und die Balkenstruktur, die an einen Stuhl erinnert, sich bereits 1966 findet. Die Schatten im oberen Bereich der Vorstudie sind jetzt zu Streifen in unterschiedlichen Blautönen geworden. Diese und andere Skizzen und Entwürfe zeigen einerseits, wie intensiv der Künstler an dem Thema gearbeitet hat, andererseits, in welchen Details die spätere Ausführung davon abwich.
1965/66 begann man mit der Realisierung. An der Nordseite des erwähnten Platzes wurde das römisch-katholische Gotteshaus nach Plänen des Architekten Clemens Holzmeister (1886-1983) errichtet und am 8. Dezember 1966 eingeweiht. Der Kirchenraum ist eine Halle auf vier Pfeilern. Das raumdominierende Altarmosaik von 15 x 8 Metern war ein Auftrag der Erzdiözese Wien. Auf zwölf Platten, von denen jeweils drei eine Gruppe bilden, setzen malerische Konturen farbliche Akzente in der ansonsten weißen Kirche. Der Künstler verwendete dabei vorzugsweise venezianische Smalten, die dem Ganzen einen hellen Blauton verleihen. In das obere Mittelfeld setzte er die Quelle des Lichtes in Andeutung an das Gold der Stadt. In den zwei rechten Außenbildern wird der Berg dargestellt, auf dem Johannes entrückt ist, und links oben ist der Lebensbaum eingefügt. In den unteren Partien der drei Hauptfelder herrschen dunkle, schattige Farben vor, hier steht oder stand das vergangene, historische Jerusalem. Auffallend an dem Werk sind die goldenen Partien, die immer wieder aufblitzen und an die Gesichter der Engel angelehnt sind, mehr textlich-abstrakt als figürlich-bildlich. Dazwischen deuten Architekturfragmente eine Stadt im Heraufkommen an.
Unger setzte mit wenigen Gehilfen die Steine 1968 selbst, was heutzutage die wenigsten Künstler noch leisten. Der Entwurf wurde dabei nicht auf Karton übertragen, sondern im Verhältnis 1:50 unmittelbar auf die Fläche gebracht.
Johann Muschik: Eine neue Kirche von Clemens Holzmeister. Das Altarmosaik von Carl Unger, in: Alte und moderne Kunst, 12, 1967, S. 37-41.
Österreichisches Museum für angewandte Kunst (Hrsg.): Carl Unger, Wien 1978.
Franz Smola: Carl Unger (1915-1995). Variationen; mit einem Werkverzeichnis der Gemälde, Wien 2006.