„Das letzte Gericht“ aus dem Museum der Religionen, St. Petersburg (1862)

Diese Arbeit hat übersetzt den Titel „Das letzte Gericht“, wobei man sich fragt, welche anderen Gerichte es davor gegeben haben mag. Das vergoldete Ölgemälde entstand nach westlichen Vorbildern in Russland; es wird im Museum der Religionen in St. Petersburg aufbewahrt. Über die Herkunft und die Entstehungshintergründe ist ebensowenig bekannt wie über den Maler oder die Malerin. Einst hatte das Museum der Religionen den Namen „Museum des Atheismus“ und sollte vor Religionen warnen und aufklären; heute steht mehr eine neutrale Präsentation der künstlerisch und soziologisch bemerkenswerten Sammlungsstücke von allen Weltreligionen im Vordergrund, die es ohne das Vorläufermuseum so nicht geben würde. Mehrere der Arbeiten dieses Museums haben übrigens das Himmlische Jerusalem zum Thema und werden hier vorgestellt.
Die Arbeit aus dem Jahr 1862 zeigt unten mittig eine Stadtmauer mit einem unscheinbaren Rundbogentor. Mit den Zinnen scheint es sich eher um eine mittelalterlichen Bau zu handeln, ein Eindruck, der durch den Engel in Ritterrüstung und Schwert rechts (St. Michael) noch verstärkt wird. Aus dieser irdischen Stadt strömen zahlreiche Menschen zu Christus und einem Engel. Es ist auffällig, dass unter den Geretteten viele Vertreter des orthodoxen Klerus zu finden sind, auch gekrönte Häupter wie eine Königin (vermutlich die gerade verstorbene Charlotte von Preußen), aber keine Arbeiter, Handwerker, Bettler oder fahrendes Volk. Wie so oft wird die eigene soziale Gruppe erhöht und verklärt, Andersgläubige werden diffamiert und ausgegrenzt. Die glücklichen Geretteten dürfen links durch eine neobarocke Pforte, an der zwei weiße Engel außen positioniert sind, in das Himmlische Jerusalem einziehen. Wie schon St. Michael, sind übrigens auch diese Engel bewaffnet, nämlich hier mit langen Lanzen. Es bleibt zu hoffen, dass es hinter den Toren friedlicher zugeht und die sozialen Unterschiede dann endlich keine Rolle mehr spielen. Christus hat es vorgemacht, die Kirchen müssen es noch lernen.

 

tags: Museum, St. Petersburg, Volkskunst, Pforte, Stände, Russland
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