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Evangeliar aus Saint-Médard von Soissons (vor 814)

Die Miniaturen zur Illustration des Prologs „Plures fuisse“ des Kirchenvaters Hieronymus in einem Evangeliar aus Saint-Médard von Soissons gehören, neben einigen weiteren wertvollen Handschriften, zur sog. Ada-Schule (oder Ada-Gruppe). Sie entstanden vor 814 im Rheinland, wahrscheinlich in Aachen. Das Evangeliar, heute im Besitz der Französischen Nationalbibliothek in Paris (BnF, MS Latin 8850, fol. 1v), ist unbestritten ein Meisterwerk der karolingischen Renaissance, es wurde eigens für Karl den Großen angefertigt. Nach seinem Tode entnahm das Werk sein Sohn Ludwig der Fromme der kaiserlichen Bibliothek und schenkte es der Abtei Saint-Médard in Soissons.

In der Darstellung des Himmlischen Jerusalem auf der ersten Seite finden sich bereits viele Elemente, die bis zum Ende des Mittelalters zum Repertoire eines Jerusalem-Bildes gehören sollten. Zunächst sieht man ganz oben das Christuslamm, welches auf dem Buch mit den sieben Siegeln steht. Es befindet sich in einem Tondo, von dem aus die Stadt beleuchtet wird – angedeutet durch weiße Strahlen. Um das Lamm sind die vierundzwanzig Ältesten versammelt, zwölf zu jeder Seite. In der darunter liegenden Bildzone sieht man vier weitere Tondi, in denen die vier Evangelistensymbole versammelt sind. In diesem Bereich beginnt die eigentliche Darstellung der Stadtarchitektur, die sich, in Vor- und Rücksprünge gliedernd, durch die Bildzone zieht. Diese Rhythmisierung wird in der unterliegenden, größten Bildzone wieder aufgenommen. Zu sehen sind drei Türme der Stadt, gegliedert durch verschiedenförmige Fenster. Dem unteren Teil sind vier schlanke, korinthische Säulen vorgesetzt, auf denen die Zone mit den vier Tondi wie ein Architrav aufliegt. Die Säulen dienen auch dazu, einem roten Stoff Halt zu geben. Dieser Baldachin deutet an, dass die königliche Stadt ein Thronsitz ist. Er ist jedoch zurückgezogen, so dass dem Betrachter Einblick gewährt wird.
Die Abkürzungen, die sich auf der Miniatur finden lassen, können wie folgt aufgelöst werden: Zwischen den Tondi: „SCS“: „Sanctus“, auf den beiden Türmen „DNS DS“: „Dominus Deus“ und „OMNIPS“: „Omnipotens“. Zusätzlich findet man zwischen den Säulenbasen (kaum mehr sichtbar) „QUI ERAT“, „ET QUI EST“ sowie „ET QUI VENTURUS EST“. Dieser Satz, „Sanctus, Sanctus, Sanctus Dominus Deus omnipotens, qui erat, et qui est, et qui venturus est“ ist ein Zitat aus der Apokalypse (Kap. 4, 8): „Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr, der Allmächtige, der da war und der da ist und der da kommt“.

Adolph Goldschmidt: Die karolingische Buchmalerei, München 1928 (Die deutsche Buchmalerei, 1).
Albert Boeckler: Die Anbetung des Lammes im Soissons Evangeliar, in: Venezia e l’Europa. Atti del XVIII Congresso Internazionale di Storia dell’Arte, Venezia 12 – 18 settembre 1955, Venezia 1956, S. 136-139.
Evangeliar aus Saint-Médard in Soissons: Hofschule Karls des Großen, Anfang 9. Jhdt.; Paris, Bibliothèque nationale, Lat. 8850, Stuttgart, um 1985.

 

tags: Soissons, Frankreich, Aachen, Frühmittelalter, Romanik
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