
Für die Gesamtverglasung von Heilig Geist in Vellmar (Nordhessen bei Kassel) wurde Agnes Mann (1907-1994) beauftragt. Die beiden zwanzig Meter langen Fensterfronten dürfen als Hauptwerk dieser Künstlerin gelten. Nur durch solche Großaufträge konnte man damals überhaupt von der Sakralkunst leben, war aber zumeist von einem Bistum bzw. seinem Kunstbeauftragten abhängt. Im Fall von Mann war es das Bistum Fulda, welches die Künstlerin immer wieder unterstützte und förderte. Bei Heilig Geist gelang es erneut, wie bereits bei St. Johannes Apostel in Altenhaßlau (1975), mit einer der weltweit führenden Glasmanufaktur zusammen zu arbeiten, W. Derix in Rottweil und in Taunusstein. So ist es auf der Fensterwand selbst verewigt, direkt im Fries unter dem Neuen Jerusalem.

Die Fenster zeigen in kräftigen Farben Szenen aus dem Neuen Testament, wie das Pfingstereignis, Lebensstationen von Petrus und Maria, die vier Evangelistensymbole und, am hinteren Abschluss der linken Fensterfront, das Himmlische Jerusalem. Es steht in einer Beziehung zu dem Abschluss der gegenüber liegenden Fensterwand, wo die Schöpfung der Welt mit Adam und Eva gezeigt wird. Von Jerusalem sieht man zwölf rote Tore, einfache Rundbögen mit zwei Flügeln, lediglich durch einen schwarzen Strich getrennt. Jedem Tor ist ein weißer Engel zugeordnet. Oben und unten schlagen sie liebevoll einen Arm um das Tor, an den Seiten sitzen sie sogar auf den Toren. Dort sieht es aus, als wären die Tore umgefallen, da sie ihre Position ändern: An zwei Seiten stehen die Tore am Fundament der Stadt, an zweien sind sie nach der entgegengesetzten Seite ausgerichtet und zeigen in den Raum.

So detailreich und figürlich die Stadtmauer mit den Toren gearbeitet ist, so ernüchternd und kahl schockiert das Stadtinnere: Außer einem Sechseckmuster, dass an einen Küchenfußboden erinnert, ist nichts aufgenommen – selbstverständlich orientierte sich Mann hier an die Darstellungen der frühmittelalterlichen Beatus-Handschriften, vornehmlich des Morgan-Beatus, des Beatus Facundus und des Urgell-Beatus. Die Künstlerin hatte immer wieder mit Dr. Antonius Gescher (Fulda) über ihre Arbeiten und allgemeine Kunstfragen korrespondiert. Am 17. Juni 1975 schrieb dieser an Mann von der Schönheit dieser spanischen Miniaturen und empfahl sie wegen ihrer klaren Linienführung, die das Wesentliche einfangen würden und wegen der „ungebrochenen Ausdruckskraft“ der Farben.
Katholische Kirchengemeinde Vellmar (Hrsg.): Festschrift, Einweihung von Kirche und Gemeindezentrum Heilig Geist in Vellmar, o.O. 1977.
Claudius Gross, Josef Katzer, Helmut Schlegel: Durchlichtetes Wort. Glasfenster von Agnes Mann. Eine meditative Erschliessung, Stuttgart 1988.
Peter Göb: Festschrift 25 Jahre. Heilig-Geist-Gemeinde Vellmar neue Heilig-Geist-Kirche, Gemeindezentrum, Erhebung zur Pfarrei, Vellmar 2002.
Peter Göb, Jürgen Schuh: Der Raum der Hoffnung – Heilig Geist-Gemeinde Vellmar, in: Alte und neue Kunst, 49, 2016, S. 96-99.



