Konrad Heinrich Büttgenbach (1870-1939): Brettspiel „Die Reise ins Himmelsreich“ (um 1900)

Die Kaiserzeit war Brettspielzeit – niemals zuvor und nie wieder danach wurde mit immer neuen Spielen so viel Zeit verbracht. Die industrielle Revolution machte die Massenproduktion möglich, die Urbanisierung stellte Spieler und Spielerinnen bereit, in allen großen Städten gab es um 1900 Spielvereine und eine Kneipenkultur, bei der Skat, Schach, Mühle und viele andere Gesellschaftsspiele dazu gehörten. Große Spielverlage entstanden, der Spieleerfinder war ein ganz neuer Beruf. Auf religiöse Bedürfnisse musste selbstverständlich ebenso Rücksicht genommen werden werden wie auf konfessionelle Besonderheiten, die Puzzle und Brettspiele zu John Bunyans „Pilgrim‘s Progress“ sind hier ein erstes Beispiel.
Um 1900 entstand im Deutschen Reich das Brettspiel „Die Reise ins Himmelsreich“ nach einer Idee von Gustav Weise, der auch Kinder- und Jugendbücher verfasst hatte wie Naturgeschichten und Tierbilderbücher. Gustav Weise war eine umtriebige Gestalt, wie sie nur die Gründerjahre hervorbrachten: Er war zunächst Teilhaber der in Stuttgart gegründeten „Julius Weise Hofbuchhandlung“. Am 20. Oktober 1863 gründete er seinen eigenen Verlag, dessen Sitz 1931 von Stuttgart nach Leipzig, 1937 nach Berlin und nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich nach Lörrach verlegt wurde. Ähnlich wie moderne Influencer ein Video nach dem anderen produzieren müssen, so musste der Verlag, wenn er überleben wollte, massenweise Produkte am Markt platzieren; „Die Reise ins Himmelsreich“ war nur ein Nebenprodukt unter Hunderten.

Gestaltet hat das Brett Konrad Heinrich Büttgenbach (1870-1939, Kürzel: CU-BO), ursprünglich Musiker aus Düsseldorf, der sein Geld bald als gewerblicher Designer verdiente. Sein Spezialgebiet: Brettspiele; mit seinem Strategiespiel „Salta“ gelang der Durchbruch. „Die Reise ins Himmelsreich“ war hingegen ein Flott: die moralische Tendenz (Kruzifixe und Monstranzen deuten darauf hin, dass hier an ein katholisches Publikum gedacht war) kam nicht an, die Regeln waren für ein Kinderspiel zu komplex und da um Münzen gespielt wurde, schloss es ärmere Mitspieler aus. Auf dem Brett, einer Farblithografie der Größe 50 x 34 Zentimeter musste man mit Spielfiguren (sechs Zinnfiguren, die Verstorbenen) einhundert Felder durchlaufen, um schließlich an das Ziel, das ewige Leben, zu gelangen. Oben rechts erscheint als Zwischenstation die Himmelspforte. Offensichtlich dachte Büttgenbach, dass es nach der Pforte noch weiter geht, in der Anleitung zu dem Spiel erfährt man: „Wer demütig und bescheiden ans Himmelstor klopft, dem gibt Petrus freundlichen Bescheid und weist ihm den Weg die Milchstrasse entlang“. Tatsächlich ist der Verlauf des Spieles wie folgt: Über eine Himmelsleiter gelangt man nach oben, durchschreitet die Pforte und wandert dann die Milchstraße weiter bis zum Ziel bzw. bis zur endgültigen Erlösung. Der Widerspruch, dass nach der Himmelspforte die Reise und die Mühen erst begannen, tat der Spielfreude keinen Abbruch, die Pforte ist, ähnlich wie in „Pilgrim‘s Progress“ zur Zwischenstation mutiert. Bei der Petrusgestalt und der Tür mit den schmiedeeisernen Beschlägen setzte man auf einen bewährte Bildtradition, die sich bereits eine Generation zuvor herausgebildet hatte. Kurios ist die Klingel mit dem Namensschild „Petrus“ ebenso wie der Toilettenverschlag mit dem Herzchen – Büttgenbach war bekannt für seine Einfälle und Originalitäten.

Erwin Glonnegger: Zur Geschichte der Würfel-Brettspiele, Grefrath 1985.
Ernst Strouhal: Die Welt im Spiel. Atlas der spielbaren Landkarten, Wien 2015.
Björn Reich: ‚Spieler sind wir doch alle‘. Eine kleine Geschichte des spielerischen Lebens und Lernens mit Spielen, in: Einsichten und Perspektiven. Bayerische Zeitschrift für Politik und Geschichte, 3, 2022, S. 4-17.

 

tags: Brettspiel, Kaiserzeit, Petrus, Himmelspforte
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