In der Masse der Postkarten und Andachtskarten finden sich selbstverständlich auch religiöse Motive, meist Porträts von Heiligen. Architektur ist selten, und dass einmal eine ganze Karte dem Himmlischen Jerusalem gewidmet ist, eine absolute Rarität. Leider ist der Künstler dieser Illustration nicht bekannt. Sie entstand im römisch-katholischen Umfeld in Süddeutschland, vielleicht in einem Wallfahrtszentrum wie Altötting, dem Kloster Andechs oder in Bogenberg – von dort hatten Besucher Bedarf, den Zuhausegebliebenen solche Karten zuzuschicken. Zeitlich lässt sie sich aufgrund Anklängen an den floralen Jugendstil am Rankenwerk ziemlich genau auf 1910 eingrenzen.

Auf engem Raum wurde auf jahrhundertealte traditionelle Bilder zurückgegriffen. Oben findet sich eine Taube mit weit ausgeschlagenen Flügeln als Symbol für den Heiligen Geist. Meist wird auf Darstellungen des Himmlischen Jerusalem die gesamte Trinität dargestellt, hier nicht. So lassen sich in der Stadtdarstellung unter der Taube weder Christus noch Engel oder Heilige entdecken. Die Stadt, ganz in weiß wie aus Marmor, zeigt auf ihrer Frontseite der Stadtmauer drei Tore mit Dreiecksgiebeln. Darüber erheben sich drei Kirchtürme mit Zeltdächern und lateinischen Kreuzen als Bekrönungen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Türme sich hinter der Mauer zu einem Bauwerk vereinen. Wohnhäuser für die Bewohner, die diese Kirchen schließlich besuchen sollen, sieht man ebensowenig. Die Bebauung thront auf einem Felsen, der den Zionsberg mit dem „Fels, auf dem die Kirche gebaut ist“ (Matthäusevangelium Kapitel 16, Vers 18) in einem Bild vereint. Aus dem mittleren Haupttor strömt ein Wasserfall auf ein Plateau, um sich dort in sieben weitere Wasserfälle zu teilen – eine ausdrucksstarke Szenerie ohne direktes Vorbild oder Nachbild. Inhaltlich ist natürlich auf den Fluss des Lebens angespielt, der aus der Stadt heraus die neue Schöpfung befruchtet. Unten sind noch fünf Lämmer, die friedlich auf einer Weide versammelt sind, hinzugefügt. Christus der Hirte, de bereits in der Stadt fehlte, ist auch hier nicht präsent, anders noch als auf dem Bildtyp Vitam Aeternam oder auf armenischen Bibeldarstellungen.



