Wolf-Dieter Kohler (1928-1985): Chorfenster der Martinskirche in Großingersheim (1962)

Bei dem Umbauprojekt der Martinskirche in Großingersheim nördlich von Stuttgart fand Wolf-Dieter Kohler (1928-1985) einen reichhaltigen historischen Bestand vor: Mittelalterliche Fresken, frühneuzeitliches Beschlagwerk, eine barocke Orgel und andere Kunstgegenstände, die bei diesem Anlass aus der Kirche entfernt wurden – ursprünglich muss man sich den Innenraum dieser Wehrkirche aus dem 12. Jahrhundert noch angefüllter mit Werken aller Art vorstellen, die über Generationen in die Kirche kamen. Die Herausforderung war einerseits, eine Einheitlichkeit (so das Ideal jener Zeit) herzustellen, und gleichzeitig die Buntglasmotive so um die Orgel anzuordnen, dass man sie noch von vielen Positionen aus sehen kann. In fast allen ähnlichen Fällen wurde das Himmlische Jerusalem, wenn es überhaupt zur Darstellung kam, über das mittlere Fenster, also direkt über der Orgel angebracht, etwa bei der Johanneskirche in Rutesheim, der Johanneskirche in Oßweil, die Johanneskirche in Münchingen – gerade Kohler war in Württemberg der Spezialist für diese Problematik.

Am 15. Oktober 1962 waren die Arbeiten abgeschlossen, der Künstler war bei der feierlichen Wiedereinweihung anwesend. Die Themen der drei Chorfenster waren, nach einem Wunsch der Gemeinde, der Turmbau zu Babel (links), der auferstandene Christus (Mitte), Pfingsten und das Neue Jerusalem (rechts). Dabei muss man Jerusalem als inhaltliches Gegenbild zu Babel sehen: dort geht eine sündige Stadt unter, hier erscheint eine heilige Stadt. Die Kombination mit Pfingsten zeigt sich vor allem in den buntfarbigen Tropfen, die den göttlichen Geist andeuten, symbolisiert in der Taube zwischen dem Maßwerk ganz oben.

Die Tropfen gegen hier nicht nur auf die irdische Welt nieder (ganz unten), sondern ebenso auf die Tore des Himmlischen Jerusalem, die eigentlich bereits geheiligt sind. Die Kombination von Pfingsten und Jerusalem, wo das Ereignis ja angeblich stattgefunden haben soll, liegt auf der Hand, man findet es auch bei der Kreuzkapelle in Stübbeken, in St. Michael in Iserlohn, der Kirche Heilig Geist in Großhansdorf oder in St Michael in Linlithgow. In Großingersheim ist die Anordnung wie folgt: vier Tore in der linken Fensterbahn, zwei in der Mitte, vier weitere in der rechten Fensterbahn. Die Rahmen sind weiß, darum ist goldenfarbenes Mauerwerk gelegt. Die Füllung der Tore sind bunte Glasscheiben, was die Edelsteine andeuten soll. Zusammen mit den Tropfen entstand ein etwas unübersichtlicher Gesamteindruck.

Markus Otto: Die evangelischen Pfarrkirchen von Groß- und Kleiningersheim, in: Gemeinde Ingersheim (Hrsg.): 1200 Jahre Ingersheim, Speyer 1979.
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Wolf-Dieter Kohler, 1928-1985. Leben und Werk, Petersberg 2021.

 

tags: Württemberg, Orgel, Pfingsten, Tropfen, Purifizierung
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