
Diese Ikone kennen wir nur von Kunstauktionen, angeblich soll sie im 17. Jahrhundert entstanden sein, weist aber Merkmale auf, die sich schon im 16. Jahrhundert finden lassen. Es handelt sich, nach Auskunft des Auktionators, bei dem Kunstobjekt um eine „Vrezok-Ikone“, also um eine Malerei, die konkrete Bildelemente aus älteren Ikonen in sich übernommen hat. Es ist eine Tempera-Malerei aus der russischen Schule mit einer Größe von 59 x 41 Zentimetern. Woher sie genau stammt, bleibt unbekannt, jedenfalls stand das Kunstobjekt im Oktober 2024 in Berlin zur Versteigerung an.
Das Weltgericht zeigt hier nicht zahlreiche Szenen aus der Johannesoffenbarung und anderen apokalyptischen Schriftquellen – beispielsweise wurde auf den ganzen Komplex der Dämonen, der Schlange und die Hölle verzichtet, ebenso auf die Paradiespforte. Links oben wurde jedoch das Himmlische Jerusalem eingefügt, in Form von drei Arkaden, besetzt mit wiederum jeweils drei Heiligen beim ewigen Abendmahl. Zumindest bei den zwei oberen Gruppen ist das Abendmahlbesteck ausgebreitet, bei der unteren Gruppe fehlt es. Über die Arkaden hat der unbekannte Künstler einige wenige Dächer und rechts vielleicht ein rotfarbenes Haus oder einen Teil der Stadtmauer eingefügt, ähnlich wie bei dem Wolga-Weltgericht aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Die Architektur ist mehr mehr beiläufig, akzidentiell wiedergegeben, keineswegs der prächtige Hauptgegenstand, der es nach der Johannesoffenbarung ja eigentlich sein sollte.
Dieses Weltgericht ist durch ein grünes Wolkenband vom Rest der Ikone abgetrennt. Dabei handelt es sich um einen Kranz von Wolken, was man bereits von mittelalterlichen Werken kennt. Im Laufe der Jahrhunderte wurde auf Ikonen aus den luftigen Wolken immer mehr ein festes, undurchdringliches Band. Hier haben wir ein extremes Beispiel vor uns. Zunächst ist es nicht nur ein Band, sondern es sind drei Bänder in Russischgrün, Weißgelb und Grün. In 99 Prozent aller dieser Bänder zeigen die Ikonen eine Unterbrechung, also ein Tor oder zumindest einen Durchschlupf. Vor einem solchen Tor gelangen fast immer weitere Heilige, oft mit Hilfe von Engeln, in die Stadt. Eine solche Szene war für die Gläubigen von besonderer Wichtigkeit: Das Himmlische Jerusalem ist keine abgeschlossene Tatsache, sondern es besteht noch Hoffnung, selbst in die rettende Stadt zu gelangen. Aus unerklärlichen Gründen wurde auf dieses Hoffnungszeichen hier vollständig verzichtet.
Die restliche Ikone verkürzt das Weltgericht auf eine Darstellung der Anbetung in drei klar getrennten Bereichen: Neben dem Jerusalem oben erscheint Christus unten auf seinem Thron. Um ihn sind Heilige und Engel versammelt, viele davon in einem eigenen dritten Bereich über ihm.