Gründungsurkunde der „Bruderschaft der Elenden Seelen in der Buurkirche“: Weltgericht (1436)
Um das Jahr 1500 gab es in Utrecht etwa einhundert Bruderschaften. Für eine Bevölkerung von damals 20.000 Bewohnern ist das eine beachtliche Zahl. Die Vorteile, einer solchen Organisationsform anzugehören, waren beträchtlich: Bruderschaften im Mittelalter waren religiös geprägte Gemeinschaften von Laien und Geistlichen, die sich für Frömmigkeit, Nächstenliebe und gegenseitige Hilfe zusammenschlossen. Oft unterhielten sie eigene Altäre oder ganze Kapellen, die durch bestimmte Rituale, feste Satzungen und die Verehrung bestimmter Heiliger (wie Sebastian oder Anna) verbunden waren und das soziale Leben stark prägten. Auch Handschriften und Urkunden wurden von solchen Bruderschaften hervorgebracht.

Hier sehen wir die verzierte Initiale der Gründungsurkunde der „Bruderschaft der Elenden Seelen in der Buurkirche“, einer Kirche in Utrecht, aus dem Jahr 1436. Das Einzelblatt mit seiner Miniatur wurde von dieser Bruderschaft herausgebracht und finanziert, sie wird auch maßgeblichen Einfluss auf die Wahl dieses Motivs genommen haben. Ein Weltgericht war damals nichts Ungewöhnliches, fast gehörte es zur bildlichen Standardausstattung – nur wenige andere Motive hatten damals eine vergleichbare Popularität. Man findet ähnliche Darstellungen zu Beginn des 15. Jahrhunderts in der Legenda Aurea (1405), einem Stundenbuch (1430-1460) oder auf Tafelmalereien wie einem Altarbild des Meisters der Passionsfolgen (um 1410). Kennt man die verschiedenen Darstellungstypen, fällt sogleich auf: Ein Himmlisches Jerusalem, komplett in Gold, erinnert an die Erbachschen Tafeln, ist aber als Miniaturmalerei ein Novum. Die Idee, die Stadt Jerusalem pars pro toto als Kirchenbau darzustellen, war dagegen gängig und entsprach der Erwartungshaltung. Kurios, selbst für die an Kuriositäten reiche mittelalterliche Darstellungsvielfalt, sind die auf der Wiese auftauchende Köpfe der Verstorbenen – man findet Ähnliches später nur noch einmal in dem Gebetbuch MS Germ. Oct. 270.
Die Ausführung zeugt von hohem Können, so ist der leidende Christus noch ganz dem 14. Jahrhundert verhaftet, die überzeugende Körperhaltung (etwas der Geretteten) oder die Gewanddarstellung (etwa des Petrus) lassen an oberitalienische Meister denken, oder zumindest an Kopisten, die entsprechende Vorlagen kannten. Erhalten hat sich das wertvolle Einzelblatt im Gemeindearchiv der Stadt Utrecht, Signatur BA I 225.
H. A. M. Jongerius: De Broederschap der Ellendige Zielen aan de Buurkerk te Utrecht, 1436-1520, Utrecht 1988.
H. A. M. Jongerius: De Broederschap der Ellendige Zielen aan de Buurkerk te Utrecht, 1436-1520, in: Jaarboek Oud Utrecht, 1989, S. 9-36.


