Hieronymus Bosch (um 1450-1516), Cornelius Cort (1533-1578): „Letztes Gericht“ (um 1555)

Um 1555 wurde erstmals im Verlag des Michiel Snyders das von Cornelius Cort (1533-1578) in Antwerpen gestochene Bild veröffentlicht, welches wahlweise als „Die Endzeit, Himmel und Hölle“ oder kurz „Jüngstes Gericht“ tituliert wird. Um 1600 erschien eine zweite Auflage, was die Popularität dieses Bildes mit seinen surrealen Monstern, Dämonen und Pflanzen belegt. Auf der Arbeit ist Hieronymus Bosch (um 1450-1516) als „Inventor“, als Erfinder, angegeben, doch inwieweit es von ihm eine konkrete Vorlage gab, oder ob nur ein Stich im Bosch-Stil erfunden wurde, bleibt offen. Gesichert ist aber, dass Cornelius Cort (1533-1578) ein begnadeter Kopist war, der gerne mit endzeitlichen Themen reüssierte – es verwundert nicht, hier seinen Namen zu finden; anders als Bosch, der zu dieser Zeit fast ein halbes Jahrhundert verstorben war. „Modern“ waren zu dieser Zeit andere Arbeiten.
Es scheint ein Entwurf für ein Triptychon gewesen zu sein. Darauf deutet auch seine ungewöhnliche Größe jenseits des Buchdrucks: 498 x 339 Zentimeter. Ich beziehe mich im folgenden auf die Fassung, die 2004 zur Versteigerung anstand – möglicherweise ist dies die gleiche Fassung, die später vom Kupferstich-Kabinett der Staatliche Kunstsammlungen in Dresden angekauft wurde (Inventarnummer A 2012-134). Immerhin hielt man die Neuerwerbung für so bedeutend, dass man 2015 eigens eine Ausstellung zu dem Werk veranstaltete, durch die die Forschung vermehrt auf diese interessante Weltgerichtsdarstellung aufmerksam wurde.

Das Himmlische Jerusalem füllt die gesamte obere Hälfte der linken Tafel. Es ist ein zweistöckiger Bau, der das bereits in der Romanik zu findende Arkaden-Motiv in die Hochgotik, den Flamboyant, überträgt. Im unteren Bereich reihen sich die Arkaden zusätzlich in die Tiefe und belegen, wie meisterhaft man inzwischen die Perspektive beherrschte. Im oberen Mittelfeld thront Gott mit dem Buch des Lebens unter einem Baldachin, umgeben von Engeln mit starr aufragenden Flügeln. Weitere Engel finden man über den gesamten Bau verteilt. Das Fehlen von Geretteten, die für das im Mittelalter erhoffte Seelenheil von besonderer Bedeutung waren, kann man sich damit erklären, dass die Menschen vermutlich hier mit Engelsflügeln dargestellt sind, darauf deutet die Masse der angedeuteten Figuren, die hinter den unteren Arkaden den Hintergrund befüllen. Nach unten ist die himmlische Welt, ganz in mittelalterlicher Tradition, durch ein Wolkenband abgetrennt. Darunter zeigt Bosch/Cort eine paradiesische Landschaft, auf der weitere Menschen, zum Teil in einem Schiff (vgl. die „Geistliche Schifffahrt“) in Richtung Stadt pilgern. Fazit: Wesentliche Elemente, wie die Arkaden, Engel oder Gott mit dem Buch, sind tatsächlich auch auf einer Ölmalerei (1480-1500) des Neuen Jerusalem von Bosch zu finden, was für seine Urheberschaft spricht.

Roger H. Marijnissen: Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk, unter Mitwirkung von Peter Ruyffelaere, Köln 1999 (2).
Stefan Fischer: Hieronymus Bosch. Malerei als Vision, Lehrbild und Kunstwerk, Köln 2009.
Tobias Pfeifer-Helke (Hrsg.): Hieronymus Boschs Erbe, Dresden 2015.
Franz Wilhelm Kaiser, Michael Philipp (Hrsg.): Verkehrte Welt, Hamburg 2016.

 

tags: Weltgericht, Entwurf, Spätmittelalter, Kupferstich, Surrealismus
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