Paul Gustave Doré (1832-1883), Héliodore-Joseph Pisan (1822-1890): „Der Engel zeigt dem Heiligen Johannes Jerusalem“ (1866)

Paul Gustave Doré (1832-1883) gelang mit seiner schwarz-weißen Illustration des Himmlischen Jerusalem 1865 ein Welterfolg. Es ist die in Frankreich bekannteste Druckgrafik der heiligen Stadt, die auch heute noch auf Kalendern, Postkarten und jetzt wieder im Internet popularisiert wurde und wird. Verständlich, dass Doré kurz darauf nachlegte, aber mit seinen folgenden Werken nicht mehr an den Erfolg anknüpfen konnten. 1866 erschienen „Ezechiels Vision des neuen Tempels“ und „Der Engel zeigt dem Heiligen Johannes Jerusalem“ („L‘Ange montre Jérusalem a Saint Jean“). Wie zuvor arbeitete Doré mit dem Grafiker Héliodore-Joseph Pisan (1822-1890) zusammen: Doré war für den Entwurf zuständig und entwickelte das spektakuläre disegno, Pisan war der Spezialist sorgfältiger Ausarbeitung mit einer Meisterschaft der Hell-Dunkel-Kontraste, die eines Rembrandt würdig sind.

„Der Engel zeigt dem Heiligen Johannes Jerusalem “ setzt auf Bewährtes: Wieder stehen die beiden Hauptfiguren, also der namenlose Engel und Johannes der Seher, von Doré als „Jean Baptist“ mit Johannes dem Täufer gleichgesetzt, als Lichtgestalten vor dem schwarzen Abgrund. An der anderen Seite einer Schlucht breitet sich eine nahöstlich geprägte Stadtlandschaft aus, aber ohne die typischen Merkmal aus der Johannesoffenbarung. Die einzige übernatürliche Hervorhebung sind die Lichtstrahlen, die aus dunklen Wolken die Stadt erleuchten.
Vergleicht man das Blatt von 1865 mit dem von 1866 fällt natürlich sogleich das geänderte Format auf, von ehemals hochkant zu querkant. Dadurch wirken die Abhänge der Schlucht weniger steil, die Stadt mehr in die Breite gezogen. Die schmalen, feminin wirkenden Personen von 1865 wurden ausgetauscht durch einen maskulinen Engel und einen gealterten, geradezu geschrumpften Johannes. Ebenfalls neu: Der Engel besitzt jetzt einen Maßstab. Dieser wirkt wie die Blitze des Zeus, mit denen er auf die Stadt verweist. In der Schlucht erscheinen nun Vögel oder Fledermäuse, neben den Hauptpersonen das einzige lebendige Element.

Konrad Farner: Gustave Dorés Bibelillustration, in: Communio Viatorum, 1, 1958, S. 103-109.
Gotthard Brandler (Hrsg.): Gustave Doré. Berlin 1990 (2).
Philippe Kaenel: Le métier d’illustrateur 1830-1880. Rodolphe Töpffer, Grandville, Gustave Doré, Paris 1996.
Magali Briat-Philippe, u.a.: Gustave Doré. Un peintre, Paris 2012.

 

tags: Kupferstich, Frankreich, Paul Gustave Doré
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