
Über den Maler Gérard Bayle (1923-2000) ist leider nicht viel bekannt geworden. Er war nicht nur Künstler, sondern in erster Linie Kunstlehrer und Museumkurator. So betreute er von 1952 bis 1962 das Museums der Schönen Künste von Cambrai (wo einst im Mittelalter eine berühmte Serie der Johannesoffenbarung entstand, die Bayle nachweislich kannte). Ab 1962 war er Direktor und Professor für Grafik und Malerei, Kunst- und Zivilisationsgeschichte sowie Gemälderestaurierung an der École des Beaux-Arts in Valence.
Gérard Bayle kannte sich exzellent in der abendländischen Kunstgeschichte aus, nach Erinnerung einer seiner Schülerinnen hatte er eine ganze Bibliothek in seinem Kopf – vor der Erfindung des Internets eine nützliche Eigenschaft, mit der man beeindrucken konnte. Als zutiefst religiöser Mensch dachte er über das Wesentliche der Dinge nach und versuchte, es in seinen Gemälden wiederzugeben.
„La jerusalem celeste“ entstand um das Jahr 1992, das Bild befindet sich heute in der Sammlung des Museums von Valence. Einzigartig daran dürfte an diesem Werk sein, dass man die Stadt hier von unten sieht, wie sie direkt über dem Betrachter niedersinkt. Auch die Auslagerung der zwölf Edelsteine in unterschiedlicher Farbe und Oberflächenstruktur als eigenständige Kuben ist ungewöhnlich. Sie umziehen den goldgelben Körper in ihrer Mitte, in der ein rotes Dreieck die göttliche Präsenz markiert. Typisch für Arbeiten von Gérard Bayle ist das Einbinden von Schrift, die weitere Informationen zu dem Inhalt gibt. In dem Werk sind folgende Worte versteckt: „Espirt“, „l‘eaux“, „le sang“, „San Gral“, „puis je vis un ciel nouvelle“, „un terre nouvelle“. Diese Elemente sind jedoch nicht allein „Beischriften“ oder Erläuterungen, sondern eigene kompositorische und graphische Bildelemente.
Auch weitere Gegenstände sind zu finden, die, wie seine Schriftelemente, Fragen aufwerfen (wollen): ein dreizehnter Edelstein, ein blauer Abendmahlskelch oder Gralsbecher, ein blaues Dreieck, in dem ein rotes Tetragramm verbrennt. Es war vorgesehen, das Gemälde an eine Decke zu hängen, wo es seine volle Wirkung am Eindrucksvollsten hätte entfalten können.
Beitragsbild: Anne Poupard, Les Granges Gontardes, Frankreich